Entrissen
vorhergesagt. Aber Julia war gesund und schenkte mir einen neuen Lebenssinn.
Olaf hatte sich für die Geburt sogar heimlich aus seinem Regiment geschlichen, was ich ihm hoch anrechnete, wenngleich mir seine etwas uneinfühlsamen Anweisungen zwischen den Wehenschmerzen nicht wirklich Erleichterung brachten. Als Julia schließlich hilfsbedürftig und zitternd auf meinem Bauch lag, empfand ich das größte Glücksgefühl meines Lebens, und eine Ahnung tiefsten Friedens durchströmte mich. Nun fühlte ich mich auch mit meinem Mann versöhnt. Erst bei der Nachgeburt stellte sich heraus, dass ich bei dieser Schwangerschaft ein weiteres Zwillingskind verloren hatte, was nachträglich manche Komplikation erklärte.
Mein Mutterglück füllte mich ganz aus, alles drehte sich nur noch um das kleine Wesen. Ich habe allerdings im Rückblick den Eindruck, dass die Empfindungen für Julia zugleich meine Gefühle für Olaf aufzehrten. Sie war einfach nur dankbar, wenn ich sie in den Armen hielt, und strahlte mich an. Ich war voller Zuneigung für meine Tochter, aber meinem Mann gegenüber fühlte ich mich seltsam fremd.
Die anfangs noch von Zärtlichkeit und Austausch bestimmte Beziehung entwickelte sich immer mehr zu einer Zweckgemeinschaft. Sex erlebte ich nicht selten als Routineakt und benutzte immer häufiger Ausreden, um dessen Vollzug zu entgehen. Unsere wachsende innere Entfremdung fand eine bezeichnende Entsprechung auf dem Gabentisch. Hatte Olaf mir zu Beginn unserer Beziehung noch geradezu luxuriöse Accessoires wie Schmuck oder einen Radiowecker geschenkt, beschränkte er sich nun, ganz im Stil meiner Adoptivmutter, auf praktische Gegenstände für den Alltagsgebrauch. So fand ich einen eher einfach gebauten Wäscheständer unter dem Weihnachtsbaum vor. Bei Licht betrachtet musste ich mir eingestehen, dass uns nur wenige gemeinsame Interessen einten. Was mein Mann sagte, überzeugte mich immer weniger, und was er tat, mochte ich nicht. Seine Nähe wurde mir unangenehm, beinahe alles an ihm begann mich zu stören.
Der kleinen Julia war Olaf ein liebreizender Vater. Er koste sie mit glückseliger Herzlichkeit, wenngleich er sich beharrlich weigerte, sie zu wickeln. Mir gegenüber schien er seine Zuneigung eher strategisch einzusetzen, und zwar immer dann, wenn er etwas von mir wollte. Seine zunehmende Distanziertheit war allerdings sicher auch eine Reaktion auf meine Ablehnung. Immer deutlicher wurde mir bewusst, dass ich mich wohl weniger in seine Wesensart als vielmehr in seine Funk-tion als Befreier verliebt hatte. In Gera war Olaf für mich der Verbündete gegen die bedrückende Macht meiner Adoptivmutter gewesen. Nun, ohne dieses Feindbild, wurde mir die selbstbewusste Dominanz meines Erretters, die mir ursprünglich Orientierung bedeutet hatte, zunehmend zur Last. Meine Hoffnung, dass unsere Liebe mit dem Zusammensein wachsen würde, erfüllte sich nicht.
Anfangs holte ich meinen Mann noch mit dem Kinderwagen von der Arbeit an seinem fünf Kilometer entfernten Standort in Prora ab. Der Spaziergang, der an den Ferienheimen der Einheitsgewerkschaft FDGB , mehreren Zeltplätzen und den Wochenendhäuschen der Ostseeküste entlangführte, und die mineralhaltige Luft taten Mutter und Tochter gut. In Uniform sah Olaf allerdings nicht nur offizieller aus, er wirkte auch wie ausgewechselt. Jedes Mal, wenn uns auf der Straße ein niederrangiger Dienstgrad entgegenkam, achtete er darauf, dass dieser auch ordnungsgemäß grüßte. Falls der obligatorische Fingerzeig an den Schirmrand der Mütze unterblieb oder nur schlampig ausgeführt wurde, pfiff mein Mann sein Gegenüber zurück und forderte das korrekte Grußverhalten ein.
Mir war diese Abfertigung in meinem Beisein ähnlich peinlich wie das Zeremoniell zu unserer Hochzeit am Ehrenmal für die gefallenen Soldaten. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Manch feindseligen Blick als Antwort auf die Zurechtweisung fühlte ich auch auf mich gerichtet und verstand beim besten Willen nicht, wie die Soldaten mir mit Hass begegnen konnten. Ich hatte ihnen nun wirklich nichts getan. Aber so formalistisch und rigide, wie mein Mann es tat, durfte man mit Befehlsempfängern auch nicht umspringen, fand ich und sagte es Olaf auch unverblümt.
»Mann, du hast Dienstschluss, du musst doch jetzt nicht auch noch den großen Zuchtmeister rauskehren. Merkst du denn gar nicht, in welch unangenehme Lage du mich damit bringst? Ich kann gut verstehen, dass die Soldaten frustriert
Weitere Kostenlose Bücher