Entscheidung auf Mallorca
verwirrt.
Peggy reichte ihr die Hand. »Ich kam zufällig vorbei und sah dich herunterkommen. Na, hab’ ich mir gesagt, auch auf die Gefahr hin, daß sie es ablehnt, mit dir zu reden, geh mal hin und quatsch sie an.«
»Warum sollte ich es ablehnen, mit dir zu reden?« fragte Miriam erstaunt.
»Du bist gut. Nach allem, was vorgefallen ist? Wulf hat mir erzählt, daß du verdammt sauer wurdest, als er beichtete, daß er und ich … Aber was sollen wir machen, Miriam? Es ist nun einmal geschehen. Er hat es nicht gewollt, ich hab’ es nicht gewollt – es war einfach plötzlich da. Und es war stärker als wir. Wird wohl die Sonne, das Meer, das Nichtstun und der Wein gemacht haben. Aber welcher Mensch macht keine Dummheiten?«
Miriam spürte die Absicht hinter Peggys Worten. Ekel erfaßte sie. Am liebsten wäre sie davongelaufen. Wenn sie dennoch stehenblieb, so einzig und allein, weil sie fühlte, daß das Treffen nicht zufällig, sondern bewußt herbeigeführt war. Und weil sie nach dem Gehörten den Grund zu kennen glaubte. Peggy geht es darum, Wulf in Mißkredit zu bringen, sagte sie sich. Wenn ihr das auch gelungen ist, sie soll es nicht wissen! Den Triumph schenk’ ich ihr nicht.
Im Bestreben, Zeit zu gewinnen, fragte sie: »Wann hast du Wulf zum letztenmal gesehen?«
»Gestern abend«, antwortete Peggy. »Wir haben im ›Königshof‹ gegessen und waren dann noch im ›Käfig‹. Aber das wird dich nicht interessieren.«
»O doch«, erwiderte Miriam, der plötzlich ein verwegener Gedanke kam. »Wulf war nämlich hinterher noch bei mir.«
Peggy starrte sie an.
»Er suchte mich mitten in der Nacht auf und erzählte mir alles. Vorher hatte er es nicht getan. Aber das nur nebenbei. Auf jeden Fall bist du zu spät gekommen. Darf ich mich jetzt verabschieden?«
Peggy wurde rot vor Zorn. Ihre Lippen bebten. »Und er hat dir alles erzählt?« rief sie und hielt Miriam fest, die schon weitergehen wollte. »Alles!«
»Ja, alles!«
»Auch, daß er auf seiner letzten Schmuggeltour drei Menschen umbrachte? Darunter ein Kind, dessen Schreie er immer noch hört!«
Miriam glaubte, das Herz bliebe ihr stehen. Die Zeichenmappe, die sie unter dem Arm hielt, fiel zu Boden. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Im Geiste sah sie Wulf vor sich sitzen, die Hände an die Ohren gepreßt.
Dann konnte sie plötzlich nicht mehr denken. Pausenlos hämmerte es in ihr: Er hat drei Menschen umgebracht! Er hat drei Menschen umgebracht! Darunter ein Kind – ein Kind, dessen Schreie er immer noch hört.
Miriam bemerkte nicht, daß Peggy ihr die Zeichenmappe unter den Arm schob. Sie vernahm auch nicht die Worte der Entschuldigung, die Peggy stammelte, sah nicht, daß sie wie von Furien gehetzt davonrannte. Nichts nahm sie mehr wahr. Sie glaubte vor einem Abgrund zu stehen und wußte nicht mehr weiter. Geistesabwesend lief sie durch die Straßen.
Als sie eine Stunde später allein in Haralds Zimmer saß und auf ihn wartete, hätte sie nicht sagen können, wie sie in seine Wohnung gekommen war und wer sie in seinen Raum geführt hatte. Ausdruckslos, als wäre alles in ihr gestorben, blickte sie auf den Titel des Buches, das schon bei ihrem ersten Besuch auf dem Tischchen gelegen hatte: »Vom Unfug des Sterbens«. Immer wieder las sie den Titel, bis sie seinen Sinn erfaßte und erregt aufsprang. Von diesem Augenblick an konnte sie wieder denken.
Sie trat an Haralds Reißbrett. Er entwirft eine Kirche, dachte sie. Und Wulf bringt drei Menschen um. Darunter ein Kind! Ich kann nicht mehr. Ich will ihn nie Wiedersehen. Harald muß dafür sorgen …
Es war, als hätte der Freund sie gehört. Die Tür wurde geöffnet, und er blickte verwundert zu ihr herüber.
Miriam lief auf ihn zu.
»Was ist denn los?« fragte er besorgt.
Sie umarmte ihn schluchzend.
Er strich ihr über ihr Haar.
Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Tränen rannen über ihre Wangen.
»Ist etwas mit Wulf passiert?«
Miriam nickte. »Es ist furchtbar«, erwiderte sie mit fast erstickter Stimme und umklammerte ihn, als wäre sie eine Ertrinkende. »Er hat drei Menschen umgebracht. Darunter ein Kind!«
Den Bruchteil einer Sekunde erstarrte Harald, dann aber drückte er Miriam von sich. »Das ist nicht wahr!« rief er.
»Doch!«
»Nein, das ist nicht wahr! Wer hat das gesagt?«
»Peggy.«
Seine Augen wurden zu Schlitzen. »Peggy?«
»Ich ahne, was du denkst. Aber das stimmt nicht. Peggy wollte es mir nicht sagen. Sie wollte nur … Es ist ihr dann
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