Entscheidung aus Liebe
sehen die Sterne nur wie ferne, verschwommene Lichter aus. Ich glaube, so gefallen sie mir besser. Es lässt mehr Spielraum für die eigene Phantasie, nicht wahr? Man sieht zu den Sternen hinauf und denkt an alte Sagen, Helden, gefährliche Abenteuer, Magie, an Mut und so viele wunderbare Orte, die man noch nicht gesehen hat."
Jareth folgte ihrem Blick. Die majestätische Schönheit der klaren Nacht hatte ihn schon immer inspiriert, und Miss Chloes poetische Worte regten seine Vorstellungskraft noch mehr an. „Der Himmel ist wie eine gewaltige Bühne, auf der sich unzählige Dramen abgespielt haben", stimmte er ihr zu.
„Sehen Sie, dort." Chloe zeigte mit dem Finger auf ein Sternbild. „Sieht das nicht wie eine Schlange aus?"
„Das ist Lacerta."
„Es spielt keine Rolle, welchen Namen ihm irgendein alter Mann gegeben hat oder was die Tradition besagt. Wichtig ist nur, was Sie selbst darin sehen. Ich sehe eine Schlange."
„Sind Sie immer gegen die Tradition?"
„Nein", antwortete sie nur. „Und sind Sie immer ein Fürsprecher der Tradition?" „Nein." Als er den Blick hob, fiel ihm auf, dass das Sternzeichen wirklich einer Schlange ähnelte.
„Und dort", rief sie, während sie in eine andere Richtung deutete, „das ist eine Frau, die sich bückt - als ob sie in einem Garten arbeiten würde."
„Unmöglich. Ich sehe nichts dergleichen."
„Doch, sehen Sie genauer hin! Hier ist ihr Kopf und dort ihr Rock."
Jareth warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Sie denken sich das nur aus."
„Nein, es ist wahr. Es ist eine Geschichte. Die Frau arbeitet in einem Garten. Sie ist arm und arbeitet hart, um sich ihr mageres Brot zu verdienen."
Jareth war noch immer nicht überzeugt.
„Ihr Geliebter ist gestorben, und sie betrauert ihren Verlust."
„Wie können Sie das alles in den Sternen sehen? Ich sehe nicht einmal eine Frau." „Aber natürlich", rief sie aus. „Sehen Sie denn nicht ihre Tränen?"
„Lächerlich", murmelte Jareth.
„Und so kriecht die Schlange zu ihr und beißt sie in den Fuß. Daraufhin stirbt die Frau."
„Was für eine morbide Idee."
„Nein, es ist romantisch!"
„Das nennen Sie romantisch?"
„Haben Sie denn niemals die großen tragischen Liebesgeschichten gelesen - Artus und Guinevere, Tristan und Isolde?"
„Ja, schrecklich sentimentale Geschichten, aber auch äußerst lehrreich. Guinevere betrog Artus, deshalb wurde sie zum Tode verurteilt. Bei Tristan war es ähnlich,
er ... "
„Non, non! Guinevere wurde von Lancelot vor dem Feuer gerettet!"
„Ah, jetzt erinnere ich mich wieder. Aber ist sie danach nicht reumütig in ein Kloster eingetreten, um dort den Rest ihres Lebens für ihre Treulosigkeit zu büßen?"
Chloe verschränkte die Arme vor ihrer Brust und schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein, Sie irren sich schon wieder. Sie lebten zusammen, glücklich bis an ihr Lebensende." Sie warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. „In Frankreich!"
„Miss Chloe, Sie widersprechen sich selbst. Eben haben Sie noch die Romantik der tragischen Liebesgeschichten erwähnt, und nun sagen Sie, dass die unglücklichen Liebenden zum Schluss doch kein trauriges Ende gefunden haben."
Sie zuckte die Achseln. „Manchmal liegt die Romantik gerade darin, dass das Schicksal die Liebenden nicht zusammenfinden lässt. Denken Sie nur an Romeo und Julia."
„Pah! Die hitzköpfigen Italiener haben nun einmal einen Hang zur Dramatik."
„Aber es gibt eine Moral, die wir aus der Geschichte lernen können", erklärte sie ihm geduldig. „Dass es falsch ist, einen anderen Menschen nur seiner Familie wegen zu verurteilen, oder weil er eine andere Nationalität oder gesellschaftliche Stellung besitzt. Haben Sie denn nicht Capulets Rede am Schluss gelesen?"
„Seien Sie so nett, mir die Moral Ihrer Geschichte über die weinende Frau zu erzählen. Nein, überlassen Sie lieber mir diese Aufgabe. Ah, ich weiß. Man sollte niemals ohne festes Schuhwerk im Garten arbeiten."
Chloe warf den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. Ihr ansteckendes Lachen perlte durch die Nacht, und auch Jareth lächelte. Sie wirkte so ... lebendig. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen verführerisch geöffnet und ihre gleichmäßigen weißen Zähne blitzten im Mondlicht.
Gegen seinen Willen musste auch er lachen. Er hatte die Bemerkung eigentlich gar nicht komisch gemeint, aber sie hatte Recht. Es war tatsächlich komisch.
„Eh bien, monsieur. Ich glaube, wir sollten das Erzählen von Mythen lieber Homer und
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