Entscheidung aus Liebe
der Visite des Doktors wirkten die Kinder völlig verstört. Sarah war den ganzen Tag nicht dazu zu bewegen, Chloes Schoß zu verlassen, und auch Rebeccah forderte ständig die Aufmerksamkeit ihrer Gouvernante. Chloe bemühte sich, die Kinder zu trösten, dennoch hing sie auch ihren eigenen Gedanken nach.
Eigentlich konnte es nur einen einzigen Grund für Dr. Esterhaus' Besuch geben. Er war hier, um zu entscheiden, ob sie entlassen werden konnte, ohne dass der Zustand der Mädchen sich dadurch wesentlich verschlechterte.
Als die Kinder endlich schliefen, betrat sie ihr Schlafzimmer und setzte sich an den kleinen Tisch. Aus einer Schublade nahm sie ein Blatt Papier und eine Feder und begann zu schreiben.
Lieber Papa,
ich glaube, dass ich bald nach Hause kommen werde - wahrscheinlich für immer.
Sie hielt inne und dachte über diese Worte nach. Früher einmal hatte sie sich so sehr gewünscht, sie ihrem Vater endlich schreiben zu können. Doch nun erfüllte sie die Aussicht, Strathmere verlassen zu müssen, mit einem überwältigenden Gefühl des Verlustes. Tränen standen ihr in den Augen, als sie ihren Brief fortsetzte.
Jareth schenkte dem Arzt ein Glas Whisky ein und nahm gegenüber von ihm Platz. „Was haben Sie über den Zustand meiner Nichten herausgefunden, Sir?"
„Zufriedenstellend. Es geht ihnen nicht schlechter, leider aber auch nicht besser. Aber das haben Sie sich sicher bereits gedacht."
„Ja, ich hatte so etwas bereits vermutet."
„Lassen Sie sich nicht entmutigen, Euer Gnaden. Kinder sind erstaunlich widerstandsfähig. Ich habe viel Erfahrung mit ihnen, und ich kann Ihnen versichern, dass sich ihr Zustand oft überraschend schnell bessert. Manchmal stellt man monatelang keine Verbesserung fest, und plötzlich benimmt sich das Kind wieder vollkommen normal." Er kicherte. „Ich erinnere mich an einen Jungen, der nach einer schweren Verletzung von einem Tag auf den anderen wieder laufen konnte. Als seine Eltern deswegen verständlicherweise sehr aufgeregt waren, konnte er nicht einmal verstehen, warum die Erwachsenen solch ein Aufhebens um die Angelegenheit machten. Für ihn war es nichts Ungewöhnliches, so schnell wieder gesund geworden zu sein."
„Glauben Sie, dass es auch Sarah so ergehen wird? Wird sie ihre Fähigkeit zu sprechen ebenso plötzlich wiedergewinnen?"
„Vielleicht. Ich kann Ihnen nichts versprechen, verstehen Sie?"
„Natürlich, Doktor. Ich verlange keine Garantie von Ihnen, nur eine sachliche Einschätzung, was im Bereich des Möglichen liegt."
„Nun, wenn es so ist, kann ich Ihre Frage mit "Ja' beantworten. Es ist durchaus möglich, dass sie auf diese Art ihr Sprachvermögen wiedererlangt."
„Ich verstehe. Und wie verhält es sich mit Rebeccahs nächtlichen Angstzuständen? Haben Sie bereits eine Idee, was man dagegen unternehmen könnte?"
„In ihrem Wachzustand weiß das Mädchen nichts davon. Das ist gut. Wenn sie einen dieser schrecklichen Träume hat, ist es besser, sie nicht aufzuwecken. In Fachkreisen hält man es für sehr bedenklich, Schlafwandler oder Menschen mit Albträumen aufzuwecken, wenn sie sich in diesem Zustand befinden. Es könnte einen bleibenden Schaden verursachen, falls man diese Patienten ohne Vorwarnung mit ihren nächtlichen Ängsten konfrontiert."
„Was sollen wir also tun?"
„Behalten Sie einfach Ihre bisherige Handlungsweise bei. Wahrscheinlich wird sich dieses Problem mit der Zeit von selbst lösen." Der Arzt schien selbst nicht recht an sein Versprechen zu glauben.
Nach einem kurzen Schweigen sprach der Mann das Thema an, auf das Jareth bereits gewartet hatte. „Euer Gnaden ... Ihre Mutter hat mich um meine Meinung gebeten, was eine mögliche Entlassung von Miss Pesserat betrifft."
„Ja. Und was ist Ihre Meinung?"
„Ich verstehe, dass diese Frau eine Last für Ihre Mutter und Sie darstellt. Dennoch hängen die Mädchen sehr an Miss Pesserat, und sie ist ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Ich glaube, es wäre ein verhängnisvoller Fehler, sie mit Gewalt von ihren Nichten zu trennen, Euer Gnaden." Er lächelte entschuldigend. „Es tut mir Leid, falls Ihnen diese Neuigkeit ungelegen kommt."
Die Neuigkeit kam Jareth nicht im Geringsten ungelegen. Manchmal glaubte er, dass
Chloe der Grund für seine Verwirrung in letzter Zeit war. Trotzdem erlebte er seine ruhigsten und heitersten Momente in ihrer Gesellschaft.
„Ich habe Sie nur darum gebeten, mir Ihre ehrliche Meinung zu sagen. Ich kann Sie kaum dafür
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