Entscheidung der Herzen (German Edition)
wehmütig hinterher sah. Diese Menschen haben es gut, dachte sie, sie haben alles hinter sich, Hunger und Leid bleibt ihnen von nun an erspart.
Sie erschrak über ihren eigenen Gedanken. Nein, Cathryn, schalt sie sich selbst. Hör auf, so zu denken. Du bist eine Lady Jourdan, hast Kraft, Stolz und Würde. Du wirst deine Pflicht erfüllen und dabei den Kopf nicht verlieren. Das Leben ist hart, aber niemand hat gesagt, dass es leicht sein würde.
Sie hatte ihre groβe Liebe gefunden, aber niemand hatte versprochen, dass diese Liebe gleichzeitig auch das groβe Glück bedeutete.
Vielleicht hatte Gott Cathryn und Cassian zusammengeführt, damit sie einander im Unglück beistanden.
Sie seufzte noch einmal, dann straffte sie die Schultern, hob den Kopf und ging, nachdem sie noch einem Blick auf den schlafenden Liebsten geworfen hatte, aus dem Haus.
Lange irrte sie durch die Straβen und Gassen, die immer noch leer und verlassen lagen. Sie stieg über einen toten Straβenköter, sah an unzähligen Haustüren die weiβen Aschekreuze. Die meisten Fensterläden waren geschlossen, nur ein paar Ratten huschten umher. Als sie ein Geräusch hörte, sah sie sich aufmerksam um, doch dann bemerkte sie, dass es ihr Magen war, der unerbittlich knurrte. Der Hunger riss wie ein tollwütiger Hund an ihren Eingeweiden. Und nirgends war ein Menschen, dem sie ihre Arbeit anbieten konnte.
Ein geschwächter Körper ist noch anfälliger für die Pest als ein gesunder, dachte sie, und bei dem Gedanken stieg übelkeit in ihr auf. Cassian, Cassian brauchte etwas zu essen. Sie konnte heute nicht schon wieder mit leeren Händen nach Hause kommen. Sie musste einfach dringend etwas zu essen beschaffen, sonst würde der Tod auch sie auf seine Schippe nehmen. Aber wie? Und woher? Nicht ein einziger Krämer bot seine Waren an. Kein Mensch weit und breit, den sie um einen Penny bitten konnte.
Oh ja, sie würde betteln. Es musste sein. Sie würde vor Scham dabei vergehen, würde stammeln und dem Gegenüber nicht in die Augen sehen können. Aber es gab kein Gegenüber. Kein Mensch war weit und breit zu entdecken.
Immer wieder drehte sich Cathryn um. Die meisten Häuser standen leer, von ihren Bewohnern schon seit Tagen verlassen. Die Bäuerin hatte Recht gehabt. Alle, die es sich leisten konnten, waren mit Kind und Kegel aus der Stadt geflohen. Selbst die Bettler hatten sich anscheinend aufgemacht, um in einer anderen Stadt ihr Glück zu versuchen.
Langsam lief sie die Straβen auf und ab, und das kleine bisschen Hoffnung, das sie bei ihrem Aufbruch noch verspürt hatte, versiegte beim Anblick der dieser Menschenleere.
Plötzlich hörte sie jedoch ein Geräusch. Männerstimmen sprachen leise miteinander.
Cathryn blieb stehen und lauschte. Die Stimmen kamen aus der seltsamerweise offen stehenden Tür eines Hauses.
»Nimm, was du tragen kannst«, hörte sie eine der Stimmen sagen. »Lass das Brot und die Schinken hegen. Nimm lieber die silbernen Leuchter. Ich gehe derweil in den ersten Stock und suche nach der Geldlade.«
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte die andere Stimme.»Wer verlässt sein Haus schon ohne die Geldlade? Die Suche kannst du dir wirklich sparen. Das Bettzeug könnte ich gut gebrauchen, will mein Haupt auch einmal auf Daunenkissen legen. Und die Würste, das gesalzene Fleisch und die Speckseiten sollten wir nehmen.«
Cathryn erstarrte. Sie legte eine Hand auf ihre Brust, um ihr wild schlagendes Herz zu beruhigen. Sie wusste genau, was in diesem Haus vor sich ging. Die Bäuerin hatte es ihr gesagt.
»Schnell, mach hin. Wir können nicht ewig hier bleiben«, hörte sie die Stimme des ersten Mannes drängen. Der andere lachte. »Warum nicht? Meinst du, der Hausherr kommt jeden Augenblick zurück? Oh, nein, wir sind hier so sicher wie in Abrahams Schoβ.«
»Nun, der Coroner ist nicht geflohen und auch seine Schergen sind noch da. Sie reiten durch die Stadt, sind auf der Suche nach Leuten wie uns.«
»Unfug. Pack zusammen, was du greifen kannst, dann werden wir hier verschwinden und kein Mensch hat uns gesehen.«
Cathryn hörte aus dem Hausinneren Geräusche, die den Aufbruch der Männer ankündigten und eilte davon, versteckte sich hinter einem Mauervorsprung.
Wenig später sah sie zwei Männer in der schlichten Kleidung einfacher Handwerksgesellen aus dem Haus kommen. Ein jeder von ihnen trug einen Sack über der Schulter. Sie hasteten die Straβe entlang, doch auf ihren Gesichtern, das konnte Cathryn deutlich sehen,
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