Entscheidung der Herzen (German Edition)
allen. Sie hält wieder einmal unser aller Schicksal in ihrer Hand. Und wie immer sie auch entscheidet, jemand, den sie liebt, trägt Schaden davon. Wir sollten jetzt bei ihr sein und ihr beistehen, statt uns in unseren Kummer zu vergraben.«
Lady Elizabeth seufzte. »Du hast Recht. Aber ich kann einfach nicht aufhören, an Jonathan zu denken. Er ist noch so klein, er braucht uns noch. Wie soll er die schwere Arbeit im Stall schaffen? Erst vorgestern noch kam er zu mir auf den Schoβ gekrochen, schmiegte sein Köpfchen an mich und sagte voller Vertrauen: »Wenn ich groβ bin, Mama, dann heirate ich dich und werde König. Aber bis dahin muss der Papa für uns sorgen.«
Bei dieser Erinnerung lachte und weinte sie zugleich.
Auch über Lord Arthurs Gesicht huschte ein schmerzliches Lächeln. Dann aber sagte er: »Wir haben drei Kinder, Elizabeth. David braucht uns nicht mehr. Für Jonathankönnen wir im Augenblick nichts tun. Sir Baldwin wird ihn einigermaβen gut behandeln. Er braucht ihn als Pfand, kann es sich nicht leisten, dass dem Kleinen etwas fehlt. Doch die, die uns jetzt am meisten braucht, ist Cathryn.«
Lady Elizabeth nickte. »Ich werde zu ihr gehen. Helfen kann ich ihr nicht, aber vielleicht tröstet es sie, mich an ihrer Seite zu wissen.«
Mit diesen Worten stand sie auf und verlieβ den Raum, während Lord Arthur seine Wanderungen wieder aufnahm. Seine Stirn war gerunzelt, die Augenbrauen hatten sich über der Nasenwurzel zu einem einzigen Strich zusammengezogen.
»Es muss eine Lösung geben«, murmelte er leise vor sich in. »Es muss! Es darf nicht sein, dass entweder Cassian oder aber Jonathan etwas geschieht.«
Er trat ans Fenster und warf einen Blick hinaus auf das Land, welches seit Jahrhunderten im Besitz der Lords von Jourdan war. Mehr als die Hälfte dieses Besitzes hatte er schon an Sir Baldwin abtreten müssen. Und in seinem Herzen hatte er sich schon lange davon verabschiedet. Es lag ihm nichts daran, Besitz zu haben. Lord Arthur wusste seit langem, dass es Dinge gab, die ihn weit glücklicher machen konnten als ein Stück Land oder ein Titel. Mit Freuden hätte er Sir Baldwin alles gegeben, ja, er hätte ihm sogar den Titel vermacht. Doch das reichte Humbert ja nicht. Am liebsten, dachte Arthur Jourdan, siebzehnter Lord seines Geschlechts, würde ich alles stehen und liegen lassen, meine Familie nehmen und ganz weit weg ein neues Leben beginnen.
Noch nie hatte er einen solchen Gedanken gehegt. Er war im Grunde ganz und gar ungeheuerlich für einen Mann seiner Stellung. Jahrhunderte hatten seine Väter und Vorväter dieses Land bestellt und verwahrt. Nie hatten sie sich alsBesitzer gesehen, sondern eher als Hüter des Landes, der Wälder und Seen. Und alle Lords hatten sich verantwortlich gefühlt für die Menschen, die in ihren Manors lebten. Stolz und Ehre waren mit dem Namen Jourdan verbunden, aber auch die Pflicht, das Erbe der Väter zu wahren. Treue war mehr als ein Begriff, Treue war eine Lebenseinstellung. Niemals hatte sich jemand seines Clans aus der Verantwortung gestohlen, niemals jemand die Treue gebrochen, dem Namen Unehre gemacht. Dies alles wog schwer und doch dachte Arthur von Jourdan daran, das alles aufzugeben. Denn der gute Name war verloren. Was immer auch geschehen mochte, bald würde Blut daran kleben. Entweder das der Ardens, mit denen sie jahrhundertelang in guter Nachbarschaft gelebt hatten, oder das seines angenommenen Kindes Jonathan, das er liebte, als wäre es sein eigenes.
»Oh, mein Gott«, stöhnte der Lord und seine Augen füllten sich mit Tränen. Oh, mein Gott, warum lässt du dies alles zu? Warum prüfst du uns so schwer?«
Ihm fiel eine Geschichte aus der Bibel ein. Es war die von Abraham und Isaak. Abraham zeugte seinen Sohn Isaak erst im hohen Alter. Es war der einzige Sohn und Abrahams Liebe zu ihm kannte keine Grenzen. Doch dann forderte Gott ihn auf, ihm, dem Herrn, diesen Sohn zu opfern. Abraham tat, was Gott ihm befohlen hat, und erst im allerletzten Augenblick gebot Gott ihm Einhalt.
»Warum meinen Sohn?«, fragte Arthur in diesen schrecklichen Minuten den unsichtbaren Gott, auf dessen Güte er zeitlebens vertraut hat. »Warum Jonathan? Nimm mich, Gott, wenn du ein Opfer brauchst. Aber schone das Kind. Es ist so rein und ohne Sünde. Schone es und nimm mich. Mit Freuden würde ich mein Leben opfern, um Jonathan zuretten und Cathryn vor der schlimmsten Entscheidung, die ein Mensch treffen muss, zu bewahren. Nimm mich, Gott, und lass meine
Weitere Kostenlose Bücher