Entscheidung der Herzen (German Edition)
Familie in Frieden leben.«
Und dann weinte der siebzehnte Lord von Jourdan, wie noch nie ein Mann seiner Familie geweint hatte. Heiβe, bittere Tränen rannen über seine Wangen, seine Schultern bebten und seine Brust zog sich in überwältigendem Schmerz zusammen. Lord Arthur von Jourdan war am Ende seiner Kräfte und an den Rand seines Glaubens, seiner überzeugungen geraten. Er wusste weder ein noch aus.
»Ich weiβ nicht mehr weiter«, flüsterte auch Cathryn unter Tränen, als Lady Elizabeth sich auf ihr Bett setzte und sie in die Arme nahm. »Alles, was ich habe und was ich bin, habe ich gegeben. Mehr kann Sir Baldwin nicht verlangen. Am besten wäre es, mich gäbe es nicht mehr. Dann könnten sowohl Cassian als auch Jonathan leben.«
»Der Gedanke ist falsch«, sagte Lady Elizabeth und strich ihrer Tochter über das Haar, bemüht, den Schrecken, den Cathryns Worte ihr eingejagt hatten, nicht allzu deutlich zu zeigen. »Wenn es dich nicht mehr gäbe, wäre nicht nur meine Welt eine Welt ohne Sonne, es würde zudem auch nichts nützen. Sir Baldwin hasst alle Lords. Er würde jemand anderen finden, den er zwingen würde, zwischen Cassian und Jonathan zu entscheiden. Wenn nicht du, sovielleicht David oder ich. Es geht nicht um dich, Cathryn, es geht noch nicht einmal um Cassian oder Jonathan. Wir alle sind austauschbar. Einzig Sir Baldwins Hass auf die Lords ist unveränderlich. Es ist nicht deine Schuld, ist nicht Jonathans oder Cassians Schuld, ist nicht die Schuld der Jourdans. Baldwin will hassen und jeder,der so etwas will, findet auch ein Objekt seines Hasses. Er hat uns gewählt und nur Gott allein weiβ, warum. Wir können an den Tatsachen nichts ändern, Cathryn, so gern wir es auch wollen. Wir müssen jetzt überlegen, was zu tun ist.«
»Es gibt nichts zu überlegen«, erwiderte Cathryn. »Es ist hoffnungslos. Welche Entscheidung ich auch immer treffen mag, es ist keine, mit der ich leben könnte. Deshalb ist es besser, ich würde jetzt sterben.«
Lady Elizabeth schwieg. Es geht nicht nur um das Leben eines meiner Kinder, begriff sie in diesem Moment, es geht um das Leben von uns allen. Denn was immer auch geschieht, wir werden uns schuldig machen und mit dieser Schuld nicht leben können.
Sie hielt Cathryn fest im Arm, wiegte sie hin und her, hielt sie, so fest sie nur konnte. Doch ihre lähmende Verzweiflung war plötzlich wie weggewischt. Elizabeth spürte nichts mehr davon, spürte auch keine Angst mehr, hatte jeden Sinn für Gefahr verloren. Sie war eine echte Lady, eine unbeugsame, stolze Frau, der das Wohl derer, die ihr anvertraut waren, über das eigene ging. Ich werde kämpfen, beschloss sie in diesem Augenblick. Ich werde alles tun, was notwendig ist, um das Leben meiner Liebsten zu retten, ihnen den Seelenfrieden zu bewahren. Cathryn hat genug gekämpft. Sie hat alles gegeben, was sie hatte. Nun ist sie leer wie ein Fass ohne Boden. Ich habe sie zu lange allein gelassen. Jetzt bin ich an der Reihe, meine Pflicht meiner Familie und dem Namen Jourdan gegenüber zu erfüllen.
Und während sie darüber nachsann, wie sie das bewerkstelligen sollte, hielt sie Cathryn in den Armen, gab ihr Ruhe, Schutz und Geborgenheit und wiegte sie in den Schlaf.
Es war schon dunkel. Der Mond stand als schmale Sichel am Himmel und schickte nur wenig Licht auf die Erde, um sie nicht aus dem Schlaf zu wecken. Wolkenberge zogen träge am Himmel entlang, deckten die Sterne mit dicken Daunenkissen zu. Die Katen, die zu den Jourdan–Manors gehörten und unweit des Schlosses an einem Weiher standen, lagen in tiefer Schwärze. Nur ihre Umrisse zeichneten sich ab. Es herrschte vollkommene Stille. Der Wind raschelte sanft im herbstlichen Laub der Bäume, ein Hund versuchte den Mond anzuheulen, brach jedoch nach einigen Klagelauten ab.
Noch nie zuvor war Lord Arthur Jourdan allein und um diese Zeit den Weg vom Schloss zu den Katen gegangen. Warum auch? Die Schnitter, Feldpächter, die unfreien Bauern und Viehzüchter hatten ihr schweres Tagewerk hinter sich gebracht und lagen längst in tiefem Schlaf. Selbst das kleine Wirtshaus, in dem jeden Abend Ale ausgeschenkt wurde, war dunkel und verlassen.
Lord Arthur hatte die ersten Häuser erreicht und sah sich um. Er brauchte eine kleine Weile, um sich zu orientieren. Ein Hund schlug in der Nähe an, doch der Lord warf ihm einen Knochen zu, sodass er begierig daran zu nagen begann und seinen Wachdienst vergaβ. Es roch nach Heu, nach Mist, verbranntem Laub und
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