Entscheidung in Cornwall
ihnen zusammen. Dann versprach sie mir, dass diesmal … diesmal alles anders werden solle. Sie wolle sich einen Job suchen und mich in die Schule schicken, aber immer war, wenn ich eines Tages nach Hause kam, ein Mann da, und auf dem Tisch stand die Flasche.«
Ramona klammerte sich nicht mehr an Brian, lehnte sich nur noch leicht an ihn, als sei ihre Leidenschaft ausgebrannt. Tränen liefen ihr über die Wangen, doch ihr Atem ging ruhiger. Brian konnte im Dunkeln kaum die Umrisse ihres Gesichts sehen.
»Wo war dein Vater?«
Sie sah ihn starr an, und in ihren Augen war ein sonderbarer Glanz. Dann stieß sie einen leisen Laut aus wie jemand, der aus dem Schlaf erwacht, und Brian war klar, dass sie halb aus dem Unterbewusstsein heraus gesprochen hatte. Doch jetzt war es zu spät, sie konnte sich nicht mehr verschanzen. Müde seufzte sie auf.
»Ich weiß nicht einmal, wer mein Vater war.« Langsam löste sie sich aus Brians Armen und stand aus dem Bett auf.
Brian sagte nichts. Er griff in die Tasche der Jeans, die er hastig übergestreift hatte, holte eine Schachtel Streichhölzer heraus und steckte die Kerze an, die auf dem Nachttisch stand. Das Licht zitterte und flackerte, war kaum mehr als ein Pulsschlag in der Dunkelheit. »Wie lange hast du so gelebt?«, fragte er und blies das Streichholz aus.
Ramona fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und kreuzte dann die Arme vor der Brust. Sie hatte schon zu viel gesagt, um sich in Ausflüchte retten zu können. »Ich erinnere mich an keine Zeit, in der sie nicht getrunken hätte … Doch als ich noch sehr klein war, ungefähr fünf oder sechs, hatte sie sich noch einigermaßen unter Kontrolle. Mutter hat in Nachtclubs gesungen. Sie hatte große Träume und eine durchschnittliche Stimme, aber sie war sehr schön … früher …«
Ramona unterbrach sich, drückte die Hände an die Augen und wischte sich die Tränen fort. »Als ich acht war, war sie … wurde sie mit dem Alkoholproblem nicht mehr fertig. Und es gab immer Männer. Sie brauchte Männer wie den Alkohol. Ein paar waren ganz nett. Einer hat mich ein paar Mal in den Zoo mitgenommen.«
Sie verstummte und wandte sich ab. »Es wurde immer schlimmer mit ihr. Zum Teil wohl deshalb, weil sie langsam die Stimme verlor. Sie hat sie natürlich auch schrecklich misshandelt, hat geraucht wie ein Schlot, und der Alkohol hat ein Übriges getan. Doch je mehr es mit ihrer Stimme bergab ging, desto mehr rauchte und trank sie. Sie ruinierte ihre Stimme, ruinierte ihre Gesundheit und zerstörte sich selbst jede Chance, es zu etwas zu bringen. Manchmal hasste ich sie. Und ich weiß, dass sie manchmal auch sich selbst hasste.«
Ramona begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Die Bewegung schien ihr Erleichterung zu verschaffen, und sie sprach jetzt schneller, als ließen sich die Worte nicht zurückhalten. »Sie weinte und klammerte sich an mich und flehte mich an, sie nicht zu hassen. Sie versprach mir den Mond, und ich glaubte ihr immer wieder. ›Diesmal‹ war eine ihrer Lieblingsredewendungen … das heißt, sie ist es noch immer.«
Ramona seufzte tief auf. »Sie liebte mich, wenn sie nicht trank, und vergaß mich völlig, wenn sie wieder an der Flasche hing. Es war so, als lebte man mit zwei ganz verschiedenen Frauen, und mit keiner von beiden konnte man leicht auskommen. Wenn sie nüchtern war, erwartete sie eine normale Mutter-Tochter-Beziehung zwischen uns. Sie fragte mich, ob ich meine Hausaufgaben gemacht hätte, warum ich fünf Minuten später aus der Schule käme … und so weiter und so weiter. War sie betrunken, durfte ich ihr ja nicht in die Quere kommen. Ich weiß noch, dass sie, als ich zwölf war, einmal drei Monate und sechzehn Tage keinen Tropfen trank. Dann kam ich eines Tages aus der Schule nach Hause und fand sie bewusstlos auf dem Bett. Sie hatte am Nachmittag in einem dieser billigen Nachtclubs vorsingen sollen. Später erzählte sie mir, sie habe nur ein einziges Glas trinken wollen, um ihre Nerven zu beruhigen. Nur eins.« Ramona fröstelte und schlug die Arme um sich. »Mir ist kalt«, murmelte sie.
Brian stand auf, ging zum Kamin und legte Holz nach. Ramona trat ans Fenster, um den über der See tobenden Sturm zu beobachten. Es blitzte noch ab und zu, aber der Donner wurde schon leiser, und der Regen ließ allmählich nach.
»Es passierte immer wieder. Sie arbeitete als Kellnerin in einer kleinen Piano-Bar in Houston. Ich war damals sechzehn. An den Zahltagen holte ich sie immer ab, damit sie
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