Entscheidung in Gretna Green
redete, ob er sie mit Geschichten von seiner Familie amüsierte oder sie drängte, ihm einen ständigen Platz in ihrem Leben einzuräumen, Hawthorn Greenwood übte einen Zauber auf sie aus wie kein Mann zuvor.
Als er ihr die hauchdünne Porzellantasse abnahm, streiften ihre Finger einander flüchtig.
Es war durchaus lächerlich, bei dieser harmlosen Berührung von einem Beben durchflogen zu werden, nachdem sie in den letzten Wochen beinahe jede Nacht mit diesem Mann verbracht hatte. Die ungebetene Erregung stellte ihre Selbstbeherrschung auf eine harte Probe, süß und beängstigend zugleich.
Ein merkwürdig deutliches Bild stieg in ihr auf. Sie sah sich mit Hawthorn in diesem Salon beim Tee sitzen – dreißig Jahre später im Kreise einer großen Familie. Eine Familie, die Felicity nie gekannt, nach der sie sich jedoch insgeheim ihr ganzes Leben gesehnt hatte.
Ihr war, als könne sie das Lachen und die scherzhaften Bemerkungen der Teerunde hören. Es fiel ihr nicht schwer, sich Hawthorn mit schütterem Haar und grauen Schläfen vorzustellen, einem Faltenkranz um die Augen, wenn er lächelte. Sich selbst sah sie fülliger um die Mitte, mit Silberfäden im Haar und Falten im Gesicht.
Zwei Dinge aber waren unverändert in ihrem Wunschbild einer gemeinsamen Zukunft: Der warme liebevolle Glanz in seinen Augen und der glühende Funke des Verlangens in ihr, wenn er sie flüchtig berührte.
War die Verheißung auf eine solche Zukunft es nicht wert, gegen alle Hindernisse zu kämpfen, die sich ihnen in den Weg stellten?
„Greif zu.“ Sie bot ihm die Platte mit Gewürzkuchen an. „Später zeige ich dir das Haus. Auf unserem Rundgang überlegen wir uns, wie wir Oliver und deine Schwester empfangen, wenn sie vom Spaziergang zurückkommen.“
Was würde sie ihrem Neffen sagen?, überlegte sie. Durfte sie ihm guten Gewissens eine Liebesheirat verbieten, da sie selbst im Begriff war, ihr Herz zu verlieren und Hawthorn ihr Jawort zu geben?
Er schaute aus dem Fenster, wo dicke Regentropfen gegen die Scheiben prasselten und ein scharfer Wind die Baumwipfel bog.
„Zunächst werden wir ihnen wohl raten, schleunigst aus den nassen Sachen zu kommen und sich umzuziehen.“ Er warf ihr einen Blick zu. „Eigentlich müssten sie längst zu rück sein. Es wäre wohl doch angebracht gewesen, ihnen jemanden hinterherzuschicken, fürchte ich.“
Felicity teilte seine Meinung. Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, zog sie an der Klingelschnur, um einen Diener zu rufen.
Falls Oliver und Ivy den Eindruck machten, wirklich verliebt ineinander zu sein, zog sie ernsthaft in Erwägung, ein gutes Wort für die beiden einzulegen. Und wenn Hawthorn sich mit einer angemessenen Verlobungszeit einverstanden erklärte, weit weg von den bösen Zungen der Klatschbasen in Bath, wären die jungen Liebenden gewiss bereit, sich nicht überstürzt in Gretna trauen zu lassen. Stattdessen könnte die Hochzeit in einigen Monaten festlich im Kreis der Familie begangen werden.
Vielleicht sogar … eine Doppelhochzeit?
Es würde ihm ein teuflisches Vergnügen bereiten, seine aufsässige kleine Schwester und ihren Verehrer mit finsterer Miene zur Rede zu stellen, überlegte Hawthorn, während er Felicity auf dem Rundgang durch das riesige Haus begleitete.
Wäre es allerdings nicht nötig gewesen, die beiden Ausreißer abzufangen, würden Felicity und er mittlerweile in Bath jeder seiner Wege gehen. Er mit gebrochenem Herzen, in der Überzeugung, sie habe sich nie etwas aus ihm gemacht.
In einem der eleganten Salons begegnete er seinem Spiegelbild in einem schweren, vergoldeten Barockrahmen. Hawthorn hatte Mühe, den Kerl zu erkennen, der ihm mit einem einfältigen Grinsen entgegenblickte.
„Sie werden doch nicht plötzlich eitel geworden sein, Mr. Greenwood.“ Neben ihm im Spiegel erschien Felicitys Gesicht.
Sinnend betrachtete er das Paar im goldenen Rahmen. Sie schenkte ihm ein kokettes Lächeln.
„Der Spiegel würde in eine dieser alten Geschichten passen, findest du nicht?“ Sie ließ den Blick über den Rahmen schweifen. „Ob er uns antwortet, wenn wir ihn fragen, wer die Schönste im ganzen Land ist?“
Er schlang die Arme um sie und hauchte einen Kuss auf ihre Schulter. „Mir zeigt er, wer die Schönste ist.“
„Ich könnte dir vorwerfen, ein Schmeichler zu sein.“ Sie neigte den Kopf seitlich, und ihr Haar berührte seine Wange. „Du neigst doch sonst nicht zu Übertreibungen.“
„Es ist die reine Wahrheit.“ Er hätte
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