Entscheidung in Gretna Green
Wahrheit zu erkennen, sonst wäre er rettungslos verloren.
Nach einem kurzen Blick zu Ivy gewann Oliver seine Fassung wieder. „Auch wenn manches dagegen spricht und du anderer Meinung bist, bin ich davon überzeugt, dass Ivy mich liebt, Tante Felicity. Und ich weiß, dass ich sie liebe.“
Wenn manches dagegen spricht? Felicity konnte nicht fassen, was sie aus seinem Mund hörte. Welcher ernsthafte Wissenschaftler würde diesen Berg von Gegenbeweisen außer Acht lassen, einfach beiseiteschieben?
Oliver wandte sich an Hawthorn. „Ich bitte Sie in aller Form um Ihre Einwilligung, Ihre Schwester heiraten zu dürfen, verehrter Mr. Greenwood. Und ich verspreche hoch und heilig, alles zu tun, was in meiner Macht steht, meine geliebte Ivy glücklich zu machen.“
War das alles nur ein Albtraum?, fragte Felicity sich verstört. Wenn es doch nur so wäre! Aber das Leben schien es darauf abgesehen zu haben, ihr auf grausame Weise beizubringen, dass Enttäuschung, Hinterhältigkeit und Verrat den Lauf der Welt bestimmten. Vertrauen, Geborgenheit und Glück waren nichts als törichte Wunschträume.
Ivy Greenwood nahm die Hand ihres Bruders und flehte inständig: „Bitte, Hawthorn, sag Ja! Bitte tu mir nicht das an, was unser Vater Rosemary angetan hat mit seinem Verbot, Merritt zu heiraten.“
„Nun ja …“ Er wirkte unschlüssig, genau wie Felicity es erwartet hatte. „Wenn ihr beide die lange Strecke nach Schottland gefahren seid, ohne euch gegenseitig umzubringen …“
Felicity konnte nicht länger schweigen. „Ich fasse es nicht! Sie wollen doch nicht ernsthaft dieser kindischen Laune nachgeben, nach allem, was wir durchgemacht haben, um die beiden an diesem Schritt zu hindern.“
Es sei denn, ihr schlimmster Verdacht bestätigte sich, und diese ganze Reise nach Gretna war nichts als eine niederträchtige Verschwörung, um sie in die Falle einer Ehe zu locken.
Mit einem bohrenden Blick gab sie Hawthorn noch eine Gelegenheit, sich auf ihre Seite zu stellen und ihre Zweifel zu widerlegen. „Sollten Sie je auch nur die Spur eines aufrichtigen Gefühls für mich empfunden haben, Hawthorn Greenwood, dann verbieten sie diese Heirat und bringen Ihre Schwester nach Barnhill zurück, wohin sie gehört.“
Ein kurzes Flackern in seinen Augen weckte in ihr die Hoffnung, er würde zur Einsicht kommen.
Doch dann erlosch das Flackern, und er sah sie mit wehmütigem Bedauern an, als habe sie ihn gekränkt. Und dann sagte er mit Grabesstimme: „Wenn Sie auch nur das Geringste für mich empfinden, Felicity, würden Sie nicht von mir verlangen, dem Glück meiner Schwester im Wege zu stehen.“
Er legte den Arm um Ivys Schultern und blickte von Felicity zu Oliver. „Wenn es wirklich euer Wunsch ist zu heiraten, gebe ich euch meinen Segen.“
Felicity zuckte zusammen. „Wie ich sehe, habt ihr euch alle gegen mich verschworen.“
Hinter ihren Lidern stachen tausend glühende Nadeln. Aber sie würde keinem in diesem Zimmer die Genugtuung geben, ihre Tränen der Wut, Verzweiflung und Verletzung zu sehen.
„Nun gut.“ Sie straffte die Schultern und hoffte, die Stimme würde ihr nicht versagen. „Wenn du auf dieser Torheit bestehst, Oliver, bleibt mir keine andere Wahl, als dir jegliche finanzielle Unterstützung zu entziehen.“
Es war mehr als eine Drohung. Nun war sie gezwungen, ihren ursprünglichen Plan wieder aufzugreifen, die Beziehung zu Hawthorn abzubrechen und sich aufs Land zurückzuziehen. Sie konnte ihr Kind aber nur in Ruhe zur Welt bringen und aufziehen, wenn sie auch keinen Kontakt zu ihrem Neffen haben würde, falls er in die Familie Greenwood einheiratete. „Wir werden ja sehen, ob Miss Greenwood dann immer noch den Wunsch hat, dich zu heiraten.“
Oliver bemühte sich zwar, zuversichtlich zu wirken, konnte allerdings seine Betroffenheit nicht verbergen. Die abweisende Haltung seiner Tante, die ihm so viele Jahre wie eine Mutter gewesen war, erschreckte ihn zutiefst. Auch Ivy war die Bestürzung deutlich anzusehen, dass Oliver eine sorgenfreie Zukunft verlieren würde, wenn er sie heiratete. Damit bestätigte sie noch den hässlichen Argwohn, den Felicity ihr ohnehin entgegenbrachte.
„Können Oliver und ich ein paar Minuten unter vier Augen reden?“, fragte Ivy tonlos.
Die Niedergeschlagenheit des jungen Mädchens berührte Felicity, obwohl sie fest entschlossen war, sich nicht erweichen zu lassen. Sie durfte sich nicht von einer sentimentalen Anwandlung blenden lassen.
„Lassen Sie sich
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