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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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Gott, was hatte ich in all den Jahren Angst, der Kerl könnte doch noch Karriere machen. Aufgrund irgendwelcher unglücklichen Umstände. Nicht auszudenken, dass am Ende doch noch etwas Gescheites aus ihm geworden wäre. Das hätte ich mir nie verziehen. Und ihm erst recht nicht.«
    »Aber jetzt ist ja alles gut«, führt ihn meine Mutter aus düsteren Gedanken zurück ins goldene Hier und Jetzt.
    »Ja. Schau dich nur um, Elfriede, sieh doch, wie heruntergekommen alles ist.« Mit dem rechten Arm macht er eine ausholende Bewegung, die meine Mutter auffordern soll, sich den verdreckten Hausflur noch einmal anzusehen. »Ich würde sagen, der ist arbeitslos. Jippieh! Und weißt du was, Elfriede? Ich behaupte: Der wird in diesem Leben auch nicht mehr die Kurve kriegen.«
    »Oh, hoffentlich nicht!«, stößt meine Mutter gespielt erschrocken hervor und klopft dreimal auf das Holz des Türrahmens zu meiner Wohnung.
    Meine Eltern. Über zwanzig Jahre habe ich sie nicht gesehen, nicht das Geringste von ihnen gehört, nur ihr Geruch hing mir in all der Zeit noch in der Nase. Ich wusste nicht einmal, ob sie überhaupt noch leben. Unser Kontakt endete an dem Tag, an dem sie heimlich auszogen, während ich noch in der Schule saß. Als ich an jenem Tag hungrig nach Hause kam, fand ich eine komplett ausgeräumte Wohnung vor. Nur in dem Raum, der einst die Küche gewesen war, lag ein Zettel auf dem Fußboden. Auf dem stand: »Ätschibätsch.«
    Vor einer Stunde standen die beiden plötzlich vor meiner Haustür und klingelten Sturm. Keine Ahnung, wie sie mich gefunden haben. Ich verhielt mich still, in der Hoffnung, dass die beiden Quatschköpfe dann schnell wieder verschwinden würden. Doch da hatte ich mich verrechnet, wie mir inzwischen klar geworden ist, weil ich seit einer Stunde mucksmäuschenstill und bewegungslos hinter der Tür verharre und durch den Spion meine Erzeuger bei ihrem merkwürdigen Gebaren im Hausflur beobachte. Nicht dass ich nachtragend wäre, ich kann sogar gut verstehen, dass sie mich damals zurückgelassen haben. Ich könnte auch keinen Pubertierenden um mich ertragen, sei er noch so sanft und wehrlos und tausendmal mein eigen Fleisch und Blut. Aber ich habe heute einfach keine Lust auf Menschen. Gestern auch nicht. Morgen erst recht nicht. Ich habe nie Lust auf Menschen, da können diese Menschen noch so sehr meine Eltern sein, die ich seit zwanzig Jahren nicht gesehen habe.
    Verstehen wir uns nicht falsch: Ich gönne meinen Eltern jede Freude, ich bin ja kein Unmensch. Ich ehre Vater und Mutter. Aber ich habe einfach die Stille zu schätzen gelernt, die sich aus meinem Leben in der Einsamkeit ergeben hat.
    Jetzt wo ich nur durch die Wohnungstür von ihnen getrennt bin und darauf warte, dass sie wieder abdampfen, erinnere ich mich wieder an die Zeiten, die ich doch eigentlich schon verdrängt hatte. Mein Gott, was haben sie mir zugesetzt. Mein Klassenlehrer in der Grundschule war mir auch keine Hilfe. Als ich ihn damals um Rat fragte, wie ich mit meinen Erzeugern umgehen sollte, empfahl er mir, offen mit den beiden zu reden, ihnen einfach zu sagen, wie sehr mich ihre Beleidigungen verletzten.
    Ich war so naiv und befolgte den Rat.
    Als meine Eltern so aus erster Hand erfuhren, womit sie mich verletzen konnten, bekamen sie leuchtende Augen und faselten etwas von »interessantes Feedback«. Meine Mutter hakte noch nach, erkundigte sich bei mir, welche Beleidigungen mir besonders wehtaten. Die notierte sie sich auf einem Zettel und formulierte Gute-Nacht-Geschichten um sie herum. Diese Werke voller Beleidigungen las sie mir abends vor dem Einschlafen vor. Ich schlief natürlich nie ein, sondern heulte bis in die Morgenstunden.
    Und jetzt sind sie wieder da. Nicht um das, was sie früher versäumt oder zerstört haben, wiedergutzumachen, sich gar zu entschuldigen und um Vergebung zu bitten, sondern aus Neugier. Um sich am Ende ihres Lebens bestätigen zu lassen, dass aus ihrem Sohn tatsächlich ein Wurm geworden ist. Sie sind nicht bereit, sich abwimmeln zu lassen, sie werden erst verschwinden, wenn sie sich persönlich von meinem Elend überzeugt haben. Entweder spüren sie, dass ich zu Hause bin, man hört ja oft von diesem unsichtbaren Band zwischen Eltern und Kind, oder sie haben doch gesehen, dass ich durch den Türspion aus meiner Wohnung in den Flur luge. Wahrscheinlich gibt dieses kleine Fenster zur Welt mehr preis, als ich vermute. Sobald meine Eltern weg sind, werde ich das einmal von der anderen

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