Entschuldigen Sie Meine Stoerung
Seite prüfen. Vielleicht bewahrheitet sich mein Verdacht, dass der vermeintlich diskrete Spion in Wahrheit eine Lupe ist, die mein Auge grotesk vergrößert.
Vielleicht haben die beiden aber auch das verräterische Knacken der Kakerlake vernommen, auf die ich direkt hinter der Tür versehentlich getreten bin. Oder ich habe zu laut geatmet. Vielleicht habe ich in den letzten Minuten durch die Nase geatmet, und es pfiff verräterisch? Und wenn ich schon mal angestrengt nachdenke, beschäftige ich mich doch auch gleich noch mit der Frage: Atme ich eigentlich häufiger durch die Nase oder durch den Mund? Eine Frage, der ich bei Gelegenheit mal empirisch auf den Grund gehen werde.
Mein Vater reißt mich aus meinen Tagträumen, als er brüllt »Jetzt mach schon auf, du Schwachkopf!« und gegen die Tür tritt. »Wir wissen, dass du da bist. Wir haben dich in den letzten zehn Jahren von einem Detektiv beschatten lassen. War schweineteuer, dein ganzes Erbe ist dabei draufgegangen, aber wir wollten eben wissen, was du so machst. Hey, wir sind schließlich deine Eltern. Und wir haben Dich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.«
Damit hat er mich aus der Deckung gelockt.
»Was interessiert euch das denn auf einmal?«, rufe ich zurück. Es klingt mehr weinerlich als wütend. Durch den Spion sehe ich, wie mein Vater aufhorcht und sich neugierig der Tür nähert.
»Haha!«, freut er sich. »Es interessiert uns gar nicht. Wollte dich nur aus der Reserve locken.«
»Wobei«, mischt sich meine Mutter ein, »mich interessiert, ob du noch deine Knollennase hast.«
Meine Knollennase. Die hatte ich ganz vergessen. Lange hat mich niemand mehr auf das Teil aufmerksam gemacht. Wie auch? Ich treffe ja niemanden. Ich bereue umgehend, mich meinen Eltern zu erkennen gegeben zu haben. Kaum sind die beiden wieder da, bricht die alte Wunde wieder auf. Meine Knollennase. Ich starre fassungslos durch den Spion auf meine Eltern, die synchron diabolisch zurücklächeln.
Ich habe ihnen so viel zu verdanken: All meine psychischen Störungen. Die beiden sind nicht ausschließlich gemein um des Gemeinseins willen. Sie sind eben Anhänger der albernen Pädagogik. Falls Sie sich für alberne Erziehung interessieren, liebe Leser: Ist ganz einfach. Sie müssen Ihr Kind nur mit Dingen konfrontieren, die Sie witzig finden. Die Erziehung wird so quasi zu einer lebenslangen Versteckte-Kamera-Sendung.
Einer der wesentlichen Grundpfeiler der albernen Erziehung ist die Taufe. Ein Taufspruch, so die Überzeugung meines Vaters, darf dem Kind im Leben nicht weiterhelfen. Erst wenn er zum Knüppel zwischen den Beinen wird, handelt es sich um einen guten Sinnspruch. Schließlich, so eine der Hauptthesen meines Vaters in seinem Hauptwerk Alberne Erziehung – Plage, Geißel, Pest oder Cholera? , müsse ein Kind frühzeitig lernen, sich in den Dreck zu reiten. Dementsprechend heißt es in meinem Taufbuch: »Und ob du schon wandeltest im finsteren Tal, da gehörste auch hin, es bereite dir Qual.« Damit setzte er sich knapp gegen meine Mutter durch, die als Taufspruch »Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, beende den Geschlechtsverkehr« vorschlug.
Ansonsten gilt die Faustregel: In der Erziehung ist alles erlaubt, solange es mindestens ein Elternteil witzig findet. Klassiker sind u. a.:
– Dem Kind statt eines Stofftiers einen noch zuckenden Barsch in die Wiege legen.
– Dem Kind die Farblehre falsch beibringen (Rot als Grün, Grün als Braun und Lila als irgendwie anders definieren. Übrigens dachten sogar meine Lehrer lange Zeit, ich sei farbenblind, bis ein Amtsarzt herausfand, dass mein Vater mir die Farben nur falsch beigebracht hatte. Als ich den Mediziner fragte, wie er darauf gekommen sei, antwortete er, das verklemmte, gehässige Kichern meines Vaters während des Tests habe ihn verraten.)
Ich habe meinen Vater an meinem dreizehnten Geburtstag mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er für meine seelischen Schäden verantwortlich sei. Er antwortete nur, ich solle mich nicht in Verschwörungsszenarien hineinsteigern. Ich sei einfach nur ein Vollgestörter. Mehr hörte ich ihn nicht sagen, denn da stürzte ich auch schon durch das Loch im Fußboden meines Kinderzimmers, das er raffiniert mit einem Teppich verdeckt hatte.
Manchmal sage ich mir: Dafür, dass ich albern erzogen worden bin, ist aus mir doch noch etwas Imposantes geworden. Dann schweige ich kurz, bevor ich lospruste und überlege, wie ich auf so einen Unsinn komme.
Diesmal
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