Entschuldigen Sie Meine Stoerung
weckt mich meine Mutter aus meinen Tagträumen. »Na, schön, du Hurensohn«, droht sie und blickt entschlossen in den Türspion. »Wenn du uns nicht reinlässt, tanzen wir so lange Tango, bis es dir zu bunt wird.« Dann schnappt sie sich ihre gleich schlechte Hälfte, und die beiden tanzen stumm durch den Hausflur. Ein abscheuliches Bild. Ihre fetten Bäuche pressen sich aneinander, bevor meine Mutter ächzend versucht, ihr von Krampfadern überzogenes Bein, das unter einem knielangen Cordrock hervorguckt, auf die Schulter meines Vaters zu hieven. Der Rock rutscht dabei so hoch, dass ich ihre Seniorenwindel unter der fleischfarbenen, transparenten Strumpfhose sehe. Dabei rufen die beiden immer wieder mit spanischem Lispel-Akzent »Wir sind die Eltern von Jan-Uwe Fitz. Wir sind die Eltern von Jan-Uwe Fitz.« Meine Mutter weiß eben, wie sie meinen Widerstand bricht und ihren Willen durchsetzt: indem sie auf mein ausgeprägtes Schamgefühl setzt. Dass ich gar nicht anders kann, als die Tür zu öffnen, um meine Eltern in die Wohnung zu lassen, weil ich mich vor den Nachbarn schäme. Ich öffne die Tür.
Die Abscheulichen Zwei beenden ihren »Tango«, lassen voneinander ab und gehen gut gelaunt an mir vorbei in die Wohnung. Ich schließe wieder die Tür. Allerdings von außen. Dann gehe ich zum Fahrstuhl, fahre ins Erdgeschoss und verlasse das Haus.
Als ich aus dem Treppenhaus ins Freie trete, höre ich die Stimme meiner Mutter aus dem Fenster meiner Wohnung im 7. Stock: »Jan-Uwe, zieh dir die Jacke aus. Damit du dich erkältest!« Das Echo ihrer Worte hallt durch den Hof. Dann höre ich, wie sie mit meinem Vater feixt.
»Weißt du, Mutter, dass ich so geworden bin, ist auch deine Schuld. Du warst nie für mich da«, rufe ich zu ihr hoch.
»Ach ja?«, grölt sie zurück. »Wegen wem lag ich denn ständig besoffen in der Ecke?«
Wäre ich in der Lage, noch etwas zu empfinden, wäre ich jetzt wahrscheinlich verletzt.
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Von Beruf bin ich übrigens Tfavmg. Das ist die Abkürzung von Trainer für adäquates Verhalten mir gegenüber . Ein harter Job. Viele Menschen benehmen sich in meiner Gegenwart völlig daneben. Dann greife ich ein und stelle das ab. Wofür ich mich von ihnen bezahlen lasse. Die Zahlungsmoral ist allerdings mies.
Mein Job ist es, Menschen noch während eines Gesprächs mit mir umzuerziehen. Damit sie sich so benehmen, dass ich sie problemlos ertrage. Das ist nicht leicht, denn meine Anforderungen sind sehr hoch.
Ich schule nur Personen, die sich mit ihrem Fehlverhalten noch in den Grenzen des Strafgesetzbuchs bewegen. Ich würde mir nie anmaßen, die Arbeit der Polizei zu tun. Das Gewaltmonopol des Staates ist mir heilig. Beobachte ich beispielsweise einen Einbrecher, der in meine Wohnung eindringt, oder einen Dieb, der meine Brieftasche stiehlt, oder gar einen Mörder, der mit der Axt in der Hand auf mich zuläuft, halte ich mich zurück. Nicht aus Feigheit, sondern weil ich dem Staat vertraue. Ich kenne meine Grenzen. Ich schreite nur ein, wenn die Polizei nicht einschreiten darf. Spezialisiert bin ich auf eine der unerträglichsten Verhaltensweisen der Menschen überhaupt: das künstliche Lachen.
Auch wenn das künstliche Lachen eines Menschen ein Zeichen von Unsicherheit ist: Ich muss meinem Gegenüber doch nicht jedes Gegrunze durchgehen lassen. Und glauben Sie mir: Ich bin gut in meinem Job. Wenn ich mit meinem Kunden fertig bin, wird er mich nie wieder mit einem künstlichen Lachen quälen, das Bäume entlaubt und Vögel entfiedert.
Das künstliche Lachen ist ein weites Feld. Ich habe mich deshalb innerhalb der Spezialisierung spezialisiert. Auf den Bereich Lachen nach einem eigenen Witz .
Am Rande: Die Königsdisziplin der Lachoptimierung ist übrigens die Arbeit am ungewollten, am vom Herzen kommenden Lachen. Dafür gibt es weltweit nur wenige Experten. Ich habe davon bisher die Finger gelassen. Beim Versuch, jemandem ein bestimmtes echtes Lachen abzugewöhnen, steht man mit einem Bein im Gefängnis. Deshalb nur ein paar Bemerkungen zu diesem Thema.
Die am weitesten verbreitete Methode, unangenehmes natürliches Lachen zu eliminieren, stellen die sogenannten Lachumerziehungslager dar. Doch die Therapien sind noch nicht ausgereift und umstritten. Die Zahl der Personen, die nach dem Aufenthalt in Lachlagern überhaupt nicht mehr lachen, übertrifft die Zahl derer, die anders lachen, bei weitem. Hinzu kommt: Anders zu lachen heißt nicht zwangsläufig, schöner zu lachen. Besonders
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