Entschuldigen Sie Meine Stoerung
sondern aus Mitleid. Und dass sie nicht zu lange mit mir gesehen werden wolle. Das verstand ich. Sie bot mir schließlich an, noch einmal etwas mit mir trinken zu gehen. Wahrscheinlich weil ich unheimlich enttäuscht geguckt hatte. Das haben schöne Frauen manchmal: extremes Mitleid mit Losern.
Am Ende waren wir dreimal miteinander aus, verloren aber bald den Kontakt zueinander. Also sie zu mir. Kann auch sein, dass sie ihn eingestellt hat. Ich habe jedenfalls regelmäßig versucht, sie telefonisch zu erreichen. Ungefähr stündlich. Eines Tages war die Telefonnummer nicht mehr vergeben.
Und jetzt stehen wir uns wieder gegenüber.
»Na, kennst du mich noch?«, fragt sie mit ihrem umwerfenden Lachen.
»Natürlich. Claudiagard. Die einzige Frau, die jemals freiwillig mit mir geredet hat. Was machst du hier?«
»Ich wurde gerade aus der Klinik entlassen. Habe soeben meinen sechsten Alkoholentzug beendet.«
»Das klingt, als sei es dir in den letzten Jahren nicht so gut gegangen.«
»Na ja. Ich habe mein Studium abgebrochen, ein bisschen gemodelt und bin anschließend in einen Teufelskreis aus Drogen, Alkohol und Medikamenten gerutscht.«
»Klingt aufregend«, sage ich anerkennend.
»Ja. War nicht die schlechteste Zeit des Lebens. Mittlerweile glaube ich an Gott, Religion und so einen Mist. Weil ich hoffe, darin Sinn zu finden.«
»Und?«
»Hm. Alkohol war geiler.«
»Für deinen zerstörerischen Lebensstil siehst du aber immer noch sehr gut aus.«
»Danke. Du nicht. Auch Alkoholiker?«
»Nein, nein«, winke ich ab. »Noch nicht. Ich versuche zwar verzweifelt, einer zu werden, aber mir schmeckt das Zeug einfach nicht.«
»Das ist aber ärgerlich. Hilft ungemein, das Leben zu ertragen. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass ich auch diesmal nicht lange trocken bleiben werde. Ein Tipp: Verdünne Wodka einfach mit viel Fruchtsaft. Dann schmeckst du den Alkohol nicht so.«
»Danke. Das werde ich mal testen.«
»Mensch, Jan-Uwe. Wie lange ist das her?«
»Zehn Jahre, zwei Tage und zwölf Stunden«, kommt es wie aus der Pistole geschossen. »Hätten wir uns vorgestern getroffen, hätten wir genau zehn Jahre Funkstille feiern können.«
Ich weiß das so genau, weil ich Tag für Tag gezählt habe, wann mich das letzte Mal eine Frau angelächelt hatte.
»Wie ist es dir ergangen? Familie? Kinder?«, fragt sie.
»Nein. Ich habe das Leben in vollen Zügen genossen. Viele Partys, viele Menschen. Drogen. So was halt. Für feste Beziehungen war da kein Platz.«
»Damals hast du Menschen ja nicht so richtig gemocht. Hat sich das also geändert.«
»Ja … Nein.«
»?«
»Ich dachte gerade, ich könnte vielleicht so tun, als wäre ich ein anderer Mensch als damals. Damit du mich attraktiver findest. Du hast dich ja nur aus Mitleid mit mir abgegeben.«
»Ja. Wie du da in der Ecke gestanden und an den Fingernägeln geknabbert hast, das war so traurig. Und da ich vorhatte, später in die Entwicklungshilfe zu gehen, dachte ich mir: Fang doch mit dem Typen an.«
»Bist du in der Entwicklungshilfe?«
»Nein. Wusstest du eigentlich, dass man dafür ins Ausland muss?«
»Ja, schon.«
»Mir war das nicht klar. Damit war die Sache für mich natürlich gestorben. Bei meinem Heimweh.«
»Denkst du manchmal noch an früher? An uns?«, frage ich in einem Anflug von Sentimentalität.
»Nein. Hätten wir uns hier nicht zufällig getroffen, ich hätte nie wieder im Leben an dich gedacht.«
»Mensch, was hätte aus uns beiden werden können … Ich denke oft wehmütig an dich zurück.«
»Echt? Das ist aber nett.«
»Und an meine beiden vergebenen Chancen.«
»?«
»Na ja, als wir fast miteinander geschlafen hätten.«
»?«
»Ich mich aber nicht getraut habe, den ersten Schritt zu machen.«
»Wann soll das denn gewesen sein?«, fragt sie in einer Mischung aus Verwunderung und Ekel.
»Damals, als ich dich in Marburg besucht habe. Und wir abends noch etwas essen gegangen sind. Und später vor deiner Haustür standen. Da hast du eindeutig sexuelle Signale gesendet. Aber ich, ich habe dir nur einen Gutenachtkuss auf die Wange gegeben und bin nach Hause. Gentleman durch und durch.«
»Daran erinnere ich mich gar nicht.«
»Jaha«, sage ich stolz. »Ich schon. Ganz Gentleman war ich. Ganz Gentleman.«
»Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ich damals sexuelle Signale gesendet habe.«
»O doch. Eindeutig. Du hast extrem willig aus der Wäsche geguckt.«
»Habe ich nicht«, lacht sie
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