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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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gehen mir so komplett am Arsch vorbei wie ich Ihnen.«
    »Dann ist es ja gut.«
    »Ich bin nicht die Bohne an Ihnen oder Ihrem Schicksal interessiert. Es gehört zu meinen schlimmsten Albträumen überhaupt, jemanden zu treffen, der mir gleicht. Seit ich in der Gruppentherapie war, weiß ich, wie schlimm das ist.«
    »Sie haben eine Gruppentherapie mitgemacht?«
    »Ja. Ich war in einer privaten Nervenklinik.«
    »Ach. Im Ernst? Davon habe ich immer geträumt. Mein Leben in einer Privatklinik zu fristen. Wie Robert Walser. Endlose Spaziergänge, Einzelzimmer, leckeres Essen. Aber ein Platz in einer Privatklinik ist bestimmt teuer, oder?«
    »Nicht, wenn Sie privat versichert sind.«
    »Sie sind privat versichert?«
    »Nein.«
    »Sie haben das selbst bezahlt?«
    »Nein. Ich habe mich eingeschlichen und schwarz behandeln lassen. Quasi als blinder Passagier. Oder genauer gesagt als blinder Patient.«
    Herr Menkes Augenbrauen sind jetzt so stark gerunzelt, dass sie auf seiner Unterlippe aufliegen.
    »Wie? Aber … wie … geht das denn? Hat das niemand bemerkt?«
    »Nein. Erst als ich mich freiwillig gestellt habe, bin ich aufgeflogen. Aber da hatte ich schon längst nicht mehr das Gefühl, dass mir mein Aufenthalt irgendetwas bringt. Ich glaube, ich bin immun gegen Psychotherapie. Nur die Tabletten, die waren immer super.«
    »Mensch, dass ausgerechnet Sie in einer Nervenklinik waren. Sie wirken psychisch so stabil.«
    »Danke für das Kompliment. Sie aber auch«, gebe ich artig zurück.
    »Nein, war ein Scherz. Sie sind schon ein ziemlich krankes Schwein. Habe ich gleich gesehen.«
    »Ich finde, Sie sind auch nicht ganz klar.«
    »Fände ich interessante Gespräche nicht so unglaublich nervtötend, würde ich Sie jetzt ohne Ende über Ihren Aufenthalt in der Anstalt ausfragen.«
    »Um Gottes willen, ich hasse es, anderen Leuten Geschichten zu erzählen, die sie interessieren könnten. Sobald ich merke, dass man mir aufmerksam zuhört, ändere ich das Thema.«
    Wir schweigen kurz. Dann frage ich leise: »Haben Sie manchmal auch so Angst, dass Sie werden wie die anderen?« Ich deute mit dem Kopf in Richtung der beiden Herren am Nebentisch.
    »Schlimmer. Ich glaube mitunter, ich bin schon fast wie die. Unser Gespräch zum Beispiel bereitet mir große Sorge«, antwortet er leise.
    »Mir auch, wir sollten es einstellen.«
    »Da ist nur ein Problem. Ich würde so gern wissen, wie das in der Klinik so war. Und dieses Gefühl macht mir Angst.«
    »Ich habe einen furchtbaren Verdacht …«
    »Nämlich?«
    »Sie haben Interesse an einem anderen Menschen.«
    »O nein!«, ruft er erschrocken aus und beginnt verstört am Daumen zu nuckeln.
    »Und wissen Sie was? Ich spüre, dass ich es Ihnen gern erzählen würde.«
    »Was für eine Scheiße!«, jammert er verzweifelt. »In was sind wir hier bloß hineingeraten? Wir sind im menschlichen Miteinander gefangen.«
    Auch ich bin verzweifelt und wehklage: »Ein Gespräch zwischen zwei Menschen, an dem ausgerechnet ich teilnehme … Ich weiß nicht, ob ich das ertrage.«
    »Ich habe eine Idee!«, ruft er plötzlich begeistert aus. »Wir müssen ja nicht miteinander reden. Ich sitze hier einfach so herum und blicke aus dem Fenster. Und Sie führen Selbstgespräche. Erzählen sich einfach selbst von Ihrer Zeit in der Klinik. Wie so ein Bekloppter, der vor sich hinbrabbelt. Und ich belausche Sie zufällig, weil ich nicht anders kann. Sitze ja mit Ihnen an einem Tisch.«
    »Das ist eine ausgezeichnete Idee!«, rufe ich begeistert aus.
    Und so rede ich im Speisewagen ein bisschen mit mir selbst.

25
    Ich habe Spaziergänge im Wald immer gehasst. Aber sie sind das kleinste Übel, wenn man sich schon fortbewegen muss. Und um Fortbewegung kommt man oft nicht herum. Das Schicksal nimmt keine Rücksicht auf Menschen, die sich gerade noch gefreut haben: »Super, kann ich die nächsten Tage mal wieder ein bisschen vor mich hinvegetieren.« Schon kommen die Eltern, und es bleibt einem nur, schnell abzuhauen.
    Ich hasse gehen prinzipiell. Ob im Wald oder in Fußgängerzonen, spielt keine Rolle. Aber bis ich ein Taxi oder einen Zug gefunden habe, in dem ich meine Flucht endlich wieder vegetierend fortsetzen kann, lässt sich gehen, mitunter auch rennen, nicht vermeiden.
    Beim Gehen mache ich aus meinem Herzen keine Mördergrube. Man sieht mir deutlich an, wie schlecht gelaunt mich das macht. Sollen doch von mir aus alle sehen, dass ich keinen Bock habe, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Noch

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