Entschuldigen Sie Meine Stoerung
habe tagelang geweint. Doch die Klinik hat mich aufgepäppelt. Jetzt geht es mir gut, gut, gut! Falls es Ihnen auch einmal nicht gut geht – die Klinik im Wald und nicht an der Oper kann ich Ihnen empfehlen. Einfach da vorn an der Eiche rechts, sich dann eines Besseren besinnen und umdrehen, weil Sie an der Eiche links gemusst hätten.‹«
»Ach so, der«, winkt die Empfangsdame ab. »Das ist einer aus unserem Promotion-Team. Setzt unsere neue Guerilla-Marketing-Kampagne um. Glauben Sie ihm kein Wort. Der wird dafür bezahlt, dass er uns lobt.«
»Heißen Sie tatsächlich Klinik im Wald und nicht an der Oper ?«
»Ja, früher hießen wir einfach Klinik an der Oper , bis ein spitzfindiger Mensch festgestellt hat, dass weit und breit keine Oper zu finden ist. Die nächste ist hundertsechzig Kilometer entfernt.«
»Wie weit darf eine Oper von einer Klinik entfernt sein, um sich noch Klinik an der Oper nennen zu dürfen?«
»Keine Ahnung.«
»Darf sich eine Klinik eigentlich Klinik am Jan-Uwe nennen, wenn Jan-Uwe in der Nähe wohnt?«
»Ich frage mich, warum der Typ im Wald rumhüpft. Das Marketingkonzept sieht eigentlich vor, die Promotion-Teams durch Fußgängerzonen hüpfen zu lassen.«
»Der Grat zwischen Waldweg und Fußgängerzone wird immer schmaler. Ich kann auch nie sagen, ob ich gerade im Wald bin oder in einer Fußgängerzone.«
»Gehen Sie jetzt bitte. Oder zahlen Sie den Vorschuss.«
»Hören Sie, Frollein, ich weiß nicht, wer ich bin, und deshalb weiß ich auch nicht, wie vermögend ich bin oder wie meine Krankenkasse heißt. Ich weiß nur: Ich bin ein Notfall. Total gestört. Mit Depressionen. Und brauche dringend Hilfe.«
»Für einen Depressiven wirken Sie erstaunlich fröhlich.«
»Ich bin etwas aufgekratzt. Außerdem wirkt die Klinik schon.«
»Wie viel Geld haben Sie bei sich?«
Ich wühle in den Hosentaschen und kratze zwölf Cent zusammen. Mit einer generösen Geste lege ich die Münzen auf den Empfangstresen. Die Dame schüttelt den Kopf: »Tut mir leid. Ohne Kostenübernahme Ihrer Kasse kann ich nichts für Sie tun.«
»Und wenn ich den Abwasch mache? Vielleicht in der Zeit zwischen Gruppen- und Einzeltherapie?«
»Bitte gehen Sie jetzt.«
OK , sie hat es so gewollt. Ich packe meine schwerste Waffe aus: Ich blicke süß. Die Dame würgt. Das deutsche Gesundheitssystem ist hart wie Kruppstahl.
In gewisser Weise habe ich ja Verständnis: Wo kämen wir denn hin, wenn jeder Patient, der behauptet, sein Gedächtnis verloren zu haben, in einer Privatklinik aufgenommen würde? Eine private Einrichtung kann nicht mal eben ein Auge zudrücken. Doch andererseits ist da diese Stimme in mir, die sagt: Kann man nicht wenigstens bei mir eine Ausnahme machen? Von mir aus schickt weg, wen ihr wollt. Aber seid für mich da. Hey, ich bin’s doch, Jan-Uwe! Ich erwarte keine Sonderbehandlung. Ich will nur, dass die Klinik für mich eine Ausnahme macht und so tut, als wäre ich ein zahlender Patient. Das entgangene Geld können Sie sich an anderer Stelle, bei anderen Patienten, wieder reinholen. Von mir aus auch heimlich. Einfach ein paar Leistungen, die bei mir erbracht worden sind, bei anderen Patienten abrechnen. Ich schweige auch wie ein Grab und sage es niemandem. Ich kann auch unheimlich gut unschuldig gucken, wenn ich auf den Patienten treffe, auf dessen Kosten ich lebe.
»Und was bezahlen Sie, damit Sie jeden Tag hierherkommen dürfen?«, frage ich meine Widersacherin keck.
»Werden Sie nicht albern. Ich arbeite hier.«
»Ich würde doch auch arbeiten, aber Sie lassen mich ja nicht spülen. Bekommen Sie Rabatt auf eine Gruppentherapie?«
»Keine Ahnung. Muss ich nachfragen.«
»Da habe ich Sie auf etwas gebracht, wie? Aus Dank sollten Sie mich aufnehmen.«
Die Frau verdreht die Augen.
»Wenn ich bereit bin, den Abwasch zu machen, mein Zimmer selbst zu reinigen und mir meine Medikamente selbst zu verschreiben – bekomme ich dann Nachlass? Wie beim Friseur? Da bezahle ich auch weniger, wenn ich mir die Haare selbst föhne.«
»Gehen Sie jetzt bitte.«
»Schicken Sie alle Patienten in Not einfach fort?«
»Hier kommen nie Gestörte vorbei, die ihr Gedächtnis verloren haben, und wollen spontan aufgenommen werden.«
»Dann bin ich ein Präzedenzfall.«
» OK . Verpissen Sie sich. Präzedenzfall geschaffen.«
»Wo soll ich denn hin? Ich weiß doch nicht, wer ich bin und wo ich wohne.«
»Quatsch. Sie wissen genau, wer Sie sind. Menschen, die nicht wissen, wer sie sind, benehmen
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