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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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das die Schuld einer Pflanze gewesen wäre. Von fleischfressenden Pflanzen habe ich bisher nur gehört, halte es aber für eine urbane Legende. Beziehungsweise für eine dschungelige Legende. Natürlich traue ich einem Baum zu, dass er mich erschlägt. Aber ich behaupte einfach mal: wenn, dann nicht mit Absicht.
    Auch nicht sonderlich interessant in diesem Zusammenhang: Meine Vorfahren litten durch die Bank weg unter einer Heidenangst vor Bäumen. Mein Gott, was haben die gebibbert, wenn sie auch nur einen Stamm mit Ästen sahen. Deshalb hatten wir nie einen Weihnachtsbaum, sondern immer nur eine Weihnachtskuh. Der Stern von Bethlehem wurde auf eines der beiden Hörner gesteckt, der Goldhaar-Engel auf das andere. So geschmückt lief das Tier mächtig sauer durch die Wohnung.
    Die Angst vor Bäumen wurde in meiner Familie von Generation zu Generation vererbt. Nur um mich machte sie einen Bogen. Dafür ereilten mich viele andere Ängste und Störungen, von denen meine Vorfahren nur träumen konnten. Oft nahm mich mein Vater zur Seite und sagte »Sohn, du hast so viele Ängste. Mach etwas aus ihnen.« Dann zuckte er zusammen, weil er durch mein Kinderzimmerfenster die Birke im Vorgarten sah. »Siehst du«, sagte er traurig. »Ich habe nur meine Angst vor Bäumen. Aber in dir steckt so viel mehr. Du bist voller so wunderbarer Phobien. Ich werde dich morgen in der Störungsstelle anmelden, damit deine Talente gefördert werden.«

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    »Darf ich Sie kurz unterbrechen?«
    »Natürlich, Herr Menke. Ich führe sowieso nur Selbstgespräche.«
    »Erinnern Sie sich an unser Gespräch von vor zwei Stunden?«
    »Ja.«
    »Sie wollten mir von Ihrem Aufenthalt in der Anstalt erzählen.«
    »Ja.«
    »Haben Sie aber nicht.«
    »Ich dachte, meine Vorgeschichte interessiert Sie vielleicht auch.«
    »Nein.«
    »Sie müssen doch erfahren, was mit mir los ist. Wer ich bin. Warum ich überhaupt in die Klinik musste.«
    »Aber muss es so lange dauern, bis Sie auf den Punkt kommen?«
    »Ich bin mit der Vorgeschichte fast fertig.«
    »Dann geht’s jetzt in die Klinik?«
    »Ja.«
    »Da bin ich aber gespannt.«
    »Das können Sie auch sein.«
    »Kleiner Scherz. Bin natürlich nicht gespannt.«
    »Müssen Sie auch nicht sein.«

45
    Wo war ich stehengeblieben? Also: Ich bin nach wie vor im Wald und erinnere mich so vor mich hin. Da erkenne ich plötzlich schemenhaft durch die Bäume hindurch einen großen, hornhautumbrafarbenen Gebäudekomplex. Das Haus passt nicht so recht in die Umgebung, es ist viel zu modern für einen Wald. Je näher ich komme, desto deutlicher wird sein funktionaler Charakter. Vor mir steht keine Burg oder ein Bauernhof, sondern eine Klinik. Mit einem gläsernen Eingang, an dem ein weißes Schild prangt: Klinik für Psychotherapie, Psychiatrie und Psychosomatik . Ich drücke mein Gesicht gegen die Glasfront und blicke in das Foyer: rechts ein Empfangstresen, dahinter eine dynamisch wirkende junge Frau in einem dunklen Kostüm. Sie sieht mich und runzelt die Augenbrauen. Vielleicht ist mein Anblick aus ihrer Perspektive gewöhnungsbedürftig, wie ich meine Nase an der Scheibe plattdrücke und meine Augen langsam von rechts nach links und wieder zurück wandern lasse, um das ganze Foyer einsehen zu können.
    Da höre ich plötzlich eine knarzende Altfrauenstimme:
     
    Psycho, Psycho, Knäuschen,
    Wer drückt die Nas’ ans Irrenhäuschen?
    Als ich mich überrascht umdrehe, steht mir jedoch keine Hexe gegenüber, sondern eine wunderschöne Frau, geschätzte dreißig. Kaum zu glauben, dass die grässliche Stimme zu ihr gehören soll. Die Schönheit lacht mich an. Da erkenne ich sie. Es ist Claudiagard Hildmann, eine alte Freundin von mir. Also Freundin im Sinne von »Nie war ich einer Frau näher als Claudiagard Hildmann«. Zwei Jahre lang waren wir unzertrennlich. An insgesamt drei Tagen. Wir haben uns auf einer Party kennengelernt, auf der ich mal wieder verloren in der Ecke stand, damals, als ich noch Partys besuchte. Und sie kam zu mir rüber und fragte: »Wollen Sie tanzen?«
    Ich antwortete: »Was glauben Sie, was ich hier tue.«
    Und sie lachte. Ich lachte zurück, auch wenn ich es bitterernst gemeint hatte. Ich war der felsenfesten Überzeugung, dass exzessives Fingernägelkauen als Tanz durchginge.
    Wir tanzten dann tatsächlich. Ich wollte gar nicht mehr aufhören, sie schon nach dem ersten Lied. Als ich mich enttäuscht zeigte, erklärte sie mir, dass sie mich nicht aufgefordert hätte, weil ich so sympathisch sei,

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