Entschuldigen Sie Meine Stoerung
macht sechstausend Euro fuffzig. Haben Sie’s passend?«
ALTE FRAU: »Nein, ich hab’s gar nicht.«
ARZT: »Nicht bezahlen zu können zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch.«
ALTE FRAU: »Buch? Was für ein Buch?«
ARZT: »Schon gut.«
ALTE FRAU: »Nicht witzig.«
ARZT: »Doch.«
ALTE FRAU: »Stimmt, jetzt sehe ich’s auch. Wie witzig. Hahaha.«
ARZT: »Hahaha.«
ALTE FRAU: » Hihihi.«
ARZT: »Wiedersehen.«
ALTE FRAU: »Au ja.«
Ich gehe um die Klinik herum, auf der Suche nach einem Hintereingang oder einem offenen Fenster. Eine Außentreppe führt seitlich an den drei Stockwerken des Hauses hoch. In jeder Etage gibt es einen Notausgang. Ich rüttle an einer Tür nach der anderen, doch alle sind verschlossen.
Ich setze meinen Weg um das Haus herum fort, stehe jetzt an der Rückseite. Hier verbindet ein überdachter Weg das Hauptgebäude mit einem zweiten, dahinterliegenden Gebäude. Die Tür zu diesem Teil der Klinik steht offen. Ich trete ein und gelange auf einen langen, engen Flur, von dem rechts und links mehrere Türen abgehen. Ich lese die kleinen Schilder neben den Türrahmen: 102 – Patientenzimmer . Daneben 103, 104. Ich rüttle an jeder Tür. Die ersten beiden sind verschlossen. Die von Zimmer 104 kann ich öffnen. Ich betrete den Raum. Er ist circa dreißig Quadratmeter groß und eingerichtet wie ein Zimmer in einem Mittelklassehotel. Direkt links am Eingang steht ein Schrank, rechts führt eine Tür ins Bad. Der Raum strahlt gehobenes IKEA -Ambiente aus. Nicht spektakulär, aber auch nicht geschmacklos. Gedeckte Brauntöne. An der rechten Wand, hinter der Ecke, an der das Bad aufhört, steht ein Bett, links neben dem Schrank ein kleiner Schreibtisch. Geradeaus öffnet sich durch eine Glasfront der Ausblick auf einen von Wäldern gesäumten See. Weibliche Kleidungsstücke liegen auf einem Sessel vor dem Balkonfenster: ein Rock, eine transparente Strumpfhose. Kein Zweifel: Mit dieser Klinik habe ich die richtige Entscheidung getroffen. Das Zimmer genügt meinen Ansprüchen, es ist gemütlich und groß genug für mich. Es hat nur einen Nachteil: Es ist bewohnt.
Plötzlich höre ich Schritte auf dem Flur. Jemand drückt die Türklinke herunter. Blitzschnell verstecke ich mich hinter dem braunen Vorhang an der Fensterfront.
Keine Ahnung, was sich gerade in dem Zimmer abspielt. Aus meiner Position hinter dem Vorhang erkenne ich nichts. Aber offenbar hat jemand das Zimmer betreten. Vermutlich die Bewohnerin. Sie geht durch den Raum, öffnet die Schranktür, schaltet den Fernseher ein. Eine Gerichtsshow. Ein versteckter Hinweis? Weiß sie, dass ich im Raum bin, und bedeutet die Gerichtsshow, dass ich bald vor dem Kadi stehen werde? Ich schlucke, und mein »Gulp!« entweicht einen Tick zu laut.
»Ist da jemand?«, ruft die Frau unsicher, ihrer Stimme nach ist sie Mitte vierzig. »Hallo, ich weiß, dass Sie da sind. Zeigen Sie sich.«
Ich atme kaum noch. Pokert sie? Weiß sie wirklich, dass ich im Raum bin? Oder schießt sie nur ins Blaue?
»Wenn Sie sich nicht zeigen, rufe ich die Klinikleitung.«
Vielleicht ruft sie ja immer, wenn sie einen Raum betritt: »Hallo, ich weiß, dass Sie da sind. Zeigen Sie sich.« Vielleicht leidet sie unter Paranoia und Verfolgungswahn. Solche Leute soll es ja geben. Und erst wenn niemand antwortet, ist sie beruhigt.
»Ich weiß, dass Sie hinter dem Vorhang stehen. Ihre Brustwarzen zeichnen sich auf dem Stoff ab.«
Ich kann nicht länger die Luft anhalten und atme ein. Ganz leise, allerdings doch so stark, dass der Sog den Vorhang an meinen Mund zieht.
»Ich kann auch sehen, wie der Vorhang an Ihren Mund gezogen wird, wenn Sie einatmen.«
Jetzt ist Geistesgegenwart gefragt.
»Ah … Endlich sprechen Sie mich an«, beginne ich unsicher. »Ich dachte schon, ich interessiere Sie gar nicht.«
»Was?«, antwortet sie ängstlich.
»Ich bin nämlich ein sprechender Vorhang. Gibt’s gar nicht so oft.«
»Wirklich? Oh, tut mir leid. Ich dachte, Sie wären ein ganz normaler Vorhang, hinter dem sich ein Eindringling versteckt. Ich wollte Ihnen nichts unterstellen.«
»Wie kommen Sie denn auf diese schwachsinnige Idee?«
»Wegen der Brustwarzen.«
»Was haben Sie denn gegen meine Brustwarzen?«
»Gar nicht, gar nichts«, weist sie meine vorwurfsvolle Frage von sich, »ich wusste nur nicht, dass Vorhänge Brustwarzen haben.«
»Begegnen Sie eigentlich jedem Möbelstück mit solchen Vorurteilen?«
»Ja. Ich habe ziemlich festgefahrene Meinungen.
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