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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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Wissen Sie was, junger Vorhang?«
    »Was?«
    »Ich fühle mich von Ihnen auf merkwürdige Weise angezogen.«
    »Wie angezogen? Sexuell?«
    »Ja.«
    »Das vergessen Sie mal schön.«
    »Ihre Brustwarzen haben auf mich eine besondere Wirkung. Ich werde ganz wuschig.«
    »Oje.«
    »Ich möchte mit Ihnen Liebe machen, hier und jetzt.«
    »Das lassen Sie mal schön blei…«
    Sie umarmt mich und küsst den Vorhang von oben nach unten ab. Dann wieder von unten nach oben. Und noch einmal von oben nach unten.
    »Warte, Vorhang, ich befreie mich von meiner Hose«, keucht sie.
    »Nichts da. Die lassen Sie an.«
    In diesem Moment klopft es. Die Person wartet nicht auf ein »Herein«, sondern betritt sofort den Raum. Eine weibliche Stimme, jünger als die meiner Stalkerin, ruft:
    »Die Visite, guten Tag. Frau Kautge? Was machen Sie denn da?«
    »Können Sie nicht warten, bis ich ›Herein‹ gesagt habe?«
    »Lassen Sie bitte den Vorhang los, Frau Kautge.«
    »Nein, der Vorhang und ich, wir lieben uns. Nicht wahr, Herr Vorhang?«
    Ich sage nichts. Das scheint mir klüger. Einem nervlich angeschlagenen Patienten kann ich vielleicht noch einreden, dass ich ein sprechender Vorhang bin, den Ärzten und dem Pflegepersonal wohl eher nicht.
    »Herr Vorhang? Herr Vorhang! Sagen Sie doch was«, verlangt Frau Kautge. Aber ich bleibe stumm.
    »Na, Frau Kautge«, sagt die weibliche Stimme. »Dann wollen wir mal Ihre Dosis erhöhen, was?«
    »Aber wenn ich es Ihnen doch sage: Der Vorhang kann sprechen. Wie der sprechende Busch in der Bibel. Oh, eine Spritze …«

Tag 3
    In dieser Nacht habe ich besser geschlafen, aber immer noch nicht richtig gut. Ich durfte zwar den Komfort einer Matratze genießen, allerdings bietet das Bett nur einer Person Platz. Wir nächtigten aber zu zweit darin. Frau Kautge und ich. Ich habe das Einzelzimmer ergattert, von dem ich geträumt habe, aber leider wohnt noch eine andere Person darin. Ich hingegen stehe die meiste Zeit hinter dem Vorhang. Nur wenn Frau Kautge schläft, wage ich mich aus meinem Versteck und lege mich zu ihr ins Bett. Ich sehe gar nicht ein, dass sie das Bett für sich allein haben soll. Ich bin doch nicht in die Klinik eingebrochen, um auf dem Boden zu schlafen.
    Anscheinend habe ich so geschickt geschlafen, dass meine Mitbewohnerin nicht aufgewacht ist. Keine Ahnung, wie ich das hinbekommen habe. Bin wohl ein äußerst geschickter Schlafender. Vermutlich habe ich meine Berührungsangst so sehr verfeinert, dass ich auch unbewusst, im Schlaf, darauf achte, keinen Körperkontakt zu einem anderen Menschen zu haben. Oder Frau Kautge hat einen äußerst tiefen Schlaf. Auch als ich das Bett verließ, lag sie noch in Morpheus’ Armen.
    Man kann nicht behaupten, dass ich besonders vorsichtig wäre. Wie leicht könnte ich auffliegen. Zum Beispiel wenn Frau Kautge jetzt das Bad aufsucht, weil ich nämlich gerade auf dem Klo sitze und leichtsinnigerweise vergessen habe, die Tür abzuschließen. Da würde ich aber ganz schön in Erklärungsnot geraten. Es sei denn, ich würde in dem Moment, wenn sich die Tür öffnet, blitzschnell den Duschvorhang über mich stülpen. Mit Vorhängen gehe ich nämlich äußerst geschickt um. So viel habe ich in der Klinik bereits über mich erfahren.
    Und noch etwas habe ich gelernt: Wenn die andere Person nicht weiß, dass ich zugegen bin, macht mir ihre Gegenwart nichts aus. Ich kann sogar mit ihr in einem Bett schlafen, ohne durchzudrehen. Dabei konnte ich noch nie jemanden im Bett ertragen, schon als Kind nicht. Sogar Kuscheltiere habe ich sofort hinausbefördert. Die Sache mit dem Fisch in meinem Bett muss mich dauerhaft traumatisiert haben.
    Auch als ich fertig geduscht habe, schläft Frau Kautge noch wie ein Stein. Wir harmonieren perfekt. Sie weiß nichts von mir, und ich gehe ihr ständig aus dem Weg, verstecke mich die meiste Zeit hinter dem Vorhang. Mann und Frau können gut zusammen leben, solange die Frau nichts von dem Mann in ihrem Zimmer weiß und der Mann bereit ist, sich immer hinter den Vorhang zu verkrümeln, wenn seine Partnerin wach ist.
    Dennoch: Optimal ist die Situation für uns beide nicht. Mir wäre es lieber, wenn ich weniger Zeit hinter dem Vorhang verbringen müsste. Allerdings kann ich mit dem Status quo besser umgehen als Frau Kautge. Sie wirkt zunehmend verstört, dabei weiß sie doch gar nichts von mir. Aber vielleicht ist es auch gar nicht so leicht, mit einem unguten Gefühl zu leben.
    Hinter dem Vorhang werde ich Zeuge eines

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