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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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Gebäude herumgehe und durch ein offenes Fenster einsteige? Eine brillante Idee. Aber kann es wirklich so einfach sein? Scheint so. Da macht man sich tagelang einen Kopf, dabei liegt die Lösung so nah. Schöne Erkenntnis. Macht mir Mut. Ich lache erleichtert auf. Dann halte ich mir schnell die Hand vor den Mund. Nicht dass mich Tobias und Thomas hören.
    Ja, lieber Leser, Sie haben das richtig erkannt: Ich bin völlig skrupellos. Ich bin bad to the bone . Fest entschlossen, mir eine medizinische Leistung zu erschleichen. Wie Ladendiebstahl. Nur dass ich keine Mohrrüben klaue, sondern ärztliche Hilfe. Ich werde mich heimlich behandeln lassen, ohne dass die Klinik ein Honorar beziehen wird. Vielleicht werde ich damit sogar zum Trendsetter? Am Ende müssen viele Arztpraxen und Krankenhäuser wegen Gangstern wie mir schließen. Da rackern sich die Ärzte tagein, tagaus ab, behandeln und behandeln und behandeln – und am Ende des Monats geht kein Honorar auf ihrem Konto ein. Weil sich ganz Deutschland heimlich behandeln lässt. Ich muss aufpassen, dass mein Modell nicht Schule macht. Ich darf darüber nie ein Buch schreiben. Oder jemandem hinter vorgehaltener Hand von meinen Untaten erzählen. Sonst spricht sich das herum. Und am Ende wimmelt es in den privaten Nervenkliniken von heimlichen Patienten, die sich gegenseitig aus den Einzelzimmern prügeln.
    Es passt vielleicht nicht an diese Stelle des Buches, aber das ist ein guter Grund, ein paar besonders erschütternde Ereignisse aus deutschen Wartezimmern zu erzählen:
     
    ALTE FRAU: »Guten Tag, Herr Doktor.«
    ARZT: »Huch! Wurden Sie denn überhaupt schon aufgerufen?«
    ALTE FRAU: »Nee, ich dachte, ich zeige ein bisschen Eigeninitiative.«
    ARZT: »Finde ich klasse. Oder wie heißt das, wenn man etwas nicht gut findet?«
    ALTE FRAU: »Nicht gut?«
    ARZT: »Genau.«
    ALTE FRAU: »Leiden Sie oft unter Wortfindungsstörungen?«
    ARZT: »Nein, meistens finde ich zu viele Worte. Aber selten ein passendes. Warten Sie schon lange?«
    ALTE FRAU: »7 Jahre. Als ich kam, war ich schwanger, jetzt geht der Kleine schon zur Schule.«
    ARZT: »Oh, und wie macht er sich?«
    ALTE FRAU: »Hoffentlich bald aus dem Staub. Ihr Wartezimmer ist verdammt eng.«
    ARZT: »Ach.«
    ALTE FRAU: »Ich behandle ihn zurzeit absichtlich besonders ungerecht, damit er wegläuft.«
    ARZT: »Fühlen Sie sich im Wartezimmer denn wohl?«
    ALTE FRAU: »Na ja. Die Zeitungen kenne ich schon in- und auswendig.«
    ARZT: »Ach ja? Was steht denn in der Gala Nr. 23/2002 auf Seite 26?«
    ALTE FRAU: »Inge Meysel ist tot.«
    ARZT: »Inge Meysel ist tot? O mein Gott!«
    (weint)
    ALTE FRAU: »Vielleicht sollten Sie Fernseher aufstellen. Das ist kurzweiliger für uns Patienten.«
    ARZT: »Sind denn noch viele im Wartezimmer?«
    ALTE FRAU: »Fernseher?«
    ARZT: »Nein, Patienten.«
    ALTE FRAU: »Na, so um die zwölf. Habe nicht nachgezählt. Aber wenn, wären es genau zwölf.«
    ARZT: »Nur zwölf Patienten? In sieben Jahren? Da hat bestimmt wieder ein Kollege welche geklaut.«
    ALTE FRAU: »Jetzt wo Sie es sagen – es kam öfters ein weißbekittelter Mann unschuldig pfeifend herein und hat Säcke über Patienten gestülpt. Dann hat er diabolisch gelacht und ist mit Ihnen auf und davon.«
    ARZT: »Können Sie den Mann beschreiben?«
    ALTE FRAU: »Nein, Sie?«
    ARZT: »Ich denke schon. Er trug einen weißen Kittel.«
    ALTE FRAU: »Das wissen Sie von mir.«
    ARZT: »Dann seien Sie eben vorsichtiger mit dem, was Sie ausplaudern.«
    ALTE FRAU: »Hm, Sie tragen aber auch einen weißen Kittel.«
    ARZT: »Wollen Sie damit sagen, ich raube meine eigenen Patienten? Was hätte ich denn davon? Ich würde mich ja selbst kannibalisieren.«
    ALTE FRAU: »Nein, ich vermute, Sie leiden unter dem großen Druck, den man als Arzt hat. Sie kommen damit nicht klar, dass Sie Menschen unbedingt heilen müssen. Logischerweise haben Sie Angst zu versagen. Deshalb entfernen Sie die Patienten aus Ihrem Wartezimmer und tun so, als sei es Diebstahl.«
    ARZT: »Sie sind unglaublich … bescheuert.«
    ALTE FRAU: »Habe ich recht?«
    ARZT: »Ja. Trotzdem sind Sie unglaublich bescheuert.«
    ALTE FRAU: »Mensch, Mensch. Die Entwicklung im Gesundheitswesen ist wirklich beängstigend.«
    ARZT: »Was kann ich denn für Sie tun? Was haben Sie überhaupt?«
    ALTE FRAU: »Ein übersteigertes Schamgefühl.«
    ARZT: »Das ist nichts, wofür man sich schämen müsste.«
    ALTE FRAU: »Habe ich dann sieben Jahre umsonst gewartet? »
    ARZT: »Nein, das

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