Entschuldigen Sie Meine Stoerung
Selbstgespräch und erzähle von meiner Zeit in der Anstalt. Dieser Appell an Sie, liebe Leser, den Sie gerade lesen, ist da natürlich völlig sinnlos. Weisen Sie Ihre Freunde ruhig deutlich darauf hin, dass dieser Einschub, in dem wir uns gerade befinden, überhaupt nicht ins Konzept des Buches passt. Und fügen Sie dann erstaunt hinzu: »Huch! Das Buch hat ja gar kein Konzept!« Damit machen Sie Eindruck. Ich glaube nicht, dass das vielen anderen auffällt. Die meisten Leser sind dumm wie Brot.
Was sollten Sie noch wissen? Ach ja. Nicht mehr lange, und ich werde gestehen, dass ich in einer Anstalt gelebt habe. In einer privaten Klinik für Psychotherapie, um genau zu sein. Anstalt ist das falsche Wort, aber es klingt so schön reißerisch. Vielleicht wundern Sie sich, dass ich mit meinem Aufenthalt in der Nervenklinik so offen umgehe. Schließlich hört man immer wieder, dass man sich für einen Aufenthalt in einer Anstalt schämen sollte. Pfui. Wie peinlich.
Ach, wissen Sie: Ich bin seit meinem dritten Lebensjahr peinlich. Als ich den Kaffeesatz aß, den mir mein Vater mit den Worten »Lecker, lecker, hmm, jamjam!« hinhielt. Anschließend freute er sich wie ein Schneekönig: »Mensch, der frisst ja wirklich alles, was man ihm vor die Nase hält. Was für ein peinliches Kind.«
Mittlerweile sind 99 Prozent meines Verhaltens peinlich. Lange Zeit dachte ich, es seien nur 93 Prozent. Dann fand ich hinter meinem Bett einen Gegenstand, der mich zwang, neu zu rechnen. Ich verrate nicht, was das war, das wäre mir zu peinlich.
Ich kann machen, was ich will: Ich bin und bleibe peinlich. Sogar, wenn ich etwas sein lasse. Menschen wie ich haben keine Wahl, wir sind entweder peinlich oder wahnsinnig peinlich. Selbst wenn ich intensiv an mir arbeiten würde, bliebe ich peinlich. Etwas ist spätestens in dem Moment peinlich, in dem ich es tue. Ich sollte einen Mord begehen. Dann würden potentielle Mörder vielleicht sagen: »Hm, ich bringe lieber niemanden um. Hat der Fitz schon gemacht. Mit dem möchte ich nichts gemeinsam haben.«
Viele gesellschaftliche Gruppen achten mittlerweile peinlichst genau darauf, dass ich möglichst nicht das tue, was sie tun. Die Angler zum Beispiel setzen alles daran, dass ich nicht angle. Die Bäcker setzen alles daran, dass ich nicht backe. Und die Fußball-Fans setzen alles daran, dass ich nicht fußballfanne. Einmal war ich in einem Stadion. Da sind alle sofort zum Handball gegangen.
Wenn ich Menschen neugierig frage: »Was machen Sie denn da Schönes?«, antworten sie: »Och, nichts.« Dann schauen sie unbeteiligt in die Luft, weil sie Angst haben, dass ich es nachmachen könnte. Das wäre es nämlich gewesen mit ihrer Coolness.
Manchmal denke ich mir, mach doch aus der Not eine Tugend. Indem du zum Beispiel bestimmte Gegenden zum Wohl ihrer ursprünglichen Bewohner unhip wohnst. Zum Beispiel Prenzlauer Berg. Da ist es ja total hip, allerdings zum Leidwesen der Ureinwohner. Schwaben, Hessen und Niedersachsen haben den Kiez erobert, kaufen Wohnungen und führen Anwohnerparken, Kehrwoche und Sonntagsschließung ein. Die Mieten steigen. Und dann diese Touristenmassen. Ein Albtraum für alle, die schon ewig hier leben.
Und dann ziehe ich nach Prenzlauer Berg.
Allein meine Gegenwart macht den Kiez sofort uncool, zerstört quasi die Marke Prenzlauer Berg . Die Medien wenden sich von dem Stadtteil ab, mit der Begründung: »Angesagter Stadtteil? Kann nicht sein. Der Fitz lebt hier. Peinlich.«
Die Mieten fallen, potente Unternehmen ziehen weg, Neubauprojekte werden eingestellt. Nur wegen mir, dem menschgewordenen Standortnachteil. Ich bin Gift für Szenewirte und Mietspekulanten. Nur die Ureinwohner würden mich lieben, mich dankbar auf ihren Schultern die Schönhauser Allee hinuntertragen und ihren Erstgeborenen Jan-Uwe nennen. Ich: ihr Erlöser. Die effektivste Waffe im Kampf gegen die Gentrifizierung. Der einzige Hesse, der bei den Ureinwohnern von Prenzlauer Berg je willkommen war. Mehr noch: Man würde mich nie wieder gehen lassen.
Aber bis nach Prenzlauer Berg werde ich es in diesem Leben nicht mehr schaffen. Ich besitze einfach nicht die Kraft, meinen Heimatort Nawowohl zu verlassen. Stattdessen liege ich in meiner Wohnung herum und denke: »Mein Gott, bist du peinlich. Wie du hier rumliegst.« Dann stehe ich auf, sage dabei »Peinlich, wie du aufstehst« und ergänze »Peinlich, dass du Selbstgespräche führst.« Jedes Wort ist mir unangenehm. Ich schäme mich für meine
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