ENTSEELT
schüttelte ich den Kopf. »Ich verstehe dich nur nicht. Erkläre mir, was du getan hast, damit ich dich besser kennenlerne.« Und ich trat ein wenig weiter in die Höhle hinein.
Er wich zurück, aber sein Speer war unvermindert auf mich gerichtet. Und dann, als wäre ein Damm gebrochen, brachen die Worte aus ihm heraus. »Ich habe dich gehasst!«, stieß er hervor. »Denn du warst grausam zu mir, kalt, meist gleichgültig und immer ... anders. Ich war so wie du und doch ganz anders. Ich wollte so sehr wie du sein, und konnte es doch nicht. Ich habe oft zugesehen, wie du zu einem Segel aus Fleisch wurdest, das wie ein Blatt im Wind auf den Luftströmungen trieb, aber immer, wenn ich das versucht habe, bin ich abgestürzt. Ich wollte in den Herzen der Menschen die Furcht hervorrufen, die du erzeugst, mit einem Blick, einem Wort, einem Gedanken; aber ich war kein Vampir und ich wusste, wenn ich das versuchen würde, dann würden sie mich töten wie einen gewöhnlichen Feind. Stattdessen musste ich die Freundschaft derer suchen, die ich verachtete, musste mich in ihre Gedanken schleichen und sie dazu bringen, mich zu lieben, um ihren Gehorsam zu gewinnen. Ich sah vielleicht ein wenig aus wie du, aber ich konnte nie so sein wie du, und deswegen habe ich dich gehasst.«
»Du wolltest so sein wie ich?«
»Ja, denn du hast die Kräfte!«
»Du hast selbst genügend Kräfte!«, sagte ich. »Gewaltige Kräfte! Fantastische Kräfte! Die du mir zu verdanken hast. Und doch hast du sie all die Jahre hindurch vor mir verborgen gehalten.«
»Ich habe sie nicht versteckt«, stieß er verächtlich hervor. »Ich habe sie angewandt! Ich habe sie genutzt, um dich aus meinem Verstand und aus meinem Willen herauszuhalten. Und selbst wenn ich sie voll zur Anwendung brachte, sind sie dir doch verborgen geblieben. Du hast gedacht, mein Verstand tauge nichts; er sei nicht in der Lage, deine Künste zu begreifen, und deswegen für dich nicht zugänglich. Du hast gedacht, ich sei so unbedeutend und leer, dass nichts mich prägen könne! Und als du dann festgestellt hast, dass du mir deinen Willen nicht aufzwingen konntest, da hast du dir nicht gesagt: ›Oh, der Junge ist stark!‹, sondern: ›Pah, ist der schwach!‹ Das war dein Ego, Vater, das gewaltig, aber nicht unfehlbar ist.«
»Ja.« Ich nickte nachdenklich, als er fertig war. »Da ist viel mehr an dir, als ich erwartet hatte, Janos. Du hast besondere Kräfte.«
»Aber nicht deine Macht! Du bist ... du bist ein wandelbares Etwas, mysteriös, immer anders. Und ich bin immer der Gleiche.«
»Ja, so ist es nun einmal«, sagte ich zu ihm, mit einem Achselzucken. »Ich bin ein Wamphyri!«
»Und ich wollte das auch sein, aber ich war nur ein absonderlicher Mensch. Ein Halbling ...«
»Ist das etwa eine Entschuldigung? Ist das Grund genug, die eigene Mutter als Hure zu missbrauchen? Mich wegen deiner eigenen Unzulänglichkeit zu hassen, war ein Fehler. Aber ihn noch damit zu verschlimmern, dass du deinen Schwanz ...«
»Ja!«, unterbrach er mich. »Das war Grund genug, und deswegen habe ich es getan. Ich wollte so sein wie du und konnte es nicht, deshalb habe ich dich gehasst. Und deswegen wollte ich alles beschmutzen oder mir untertan machen, was du schätzt. Zuerst die Szgany, die ich dazu gebracht habe, mich genauso zu lieben wie dich, wenn nicht sogar mehr. Und dann deine Frau, die dich besser kannte als jeder andere auf der Welt – und auf eine Weise, die nur einer Geliebten zugänglich war!«
Jetzt wich ich absichtlich vor ihm zurück, und er folgte mir auf den Eingang der Höhle zu. »In deinem Bestreben, so zu sein wie ich, hast du beschlossen, die Dinge zu tun, die ich tat, und die Dinge zu wissen, die ich wusste. Das ging so weit, dass du deine Mutter – körperlich erfahren wolltest?«
»Ich dachte, sie könnte ... sie könnte mich Dinge lehren.«
»Was?« Ich hätte beinahe aufgelacht, hielt mich aber zurück. »Was? Fleischliche Dinge? Aber das ist doch sicherlich die Aufgabe eines Vaters?«
»Ich wollte nichts von dir, ich wollte nur so sein wie du.«
»Konntest du nicht versuchen, mir ein wenig liebevoller gegenüberzutreten, um so meine Liebe zu gewinnen?«
Jetzt war es an ihm, in Lachen auszubrechen. »Was? Da könnte man doch genauso gut den süßen Geschmack in einem Salzklumpen suchen!«
»Du bist hart«, sagte ich mit leiser Stimme. »Vielleicht sind wir doch nicht so verschieden. Und du wolltest also ein Wamphyri sein? Du hast noch sehr viel zu lernen,
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