ENTSEELT
konnte. Faethor war im Inneren seines Verstandes, obwohl es kurz nach halb elf war und die Sonne vom Himmel brannte. Das zum Thema, dass die Sonne ihn schwächte. Harry hätte es wissen müssen: Geister brennen nicht. Die Sonne würde Faethor vielleicht ein paar Albträume bereiten, aber sie konnte ihn nicht körperlich schädigen, denn körperlich existierte er nicht mehr. Jeder von Harrys toten Freunden hätte ihm das sagen können.
»Du alter Mistkerl!«, sagte er. Er konstatierte das kalt, denn es war keine Beleidigung, sondern eine Feststellung. »Du Bastard, du Lügner! Du glaubst also, du kannst dich an mich anhängen, so wie es Thibor mit Dragosani gemacht hat, was?«
Glauben? Faethor kam aus seinem Versteck hervor, und Harry konnte ihn so nah bei sich spüren, als stünde er neben seinem Bett. Es ist bereits geschehen, Harry. Gewöhn dich an den Gedanken.
Harry schüttelte den Kopf und grinste bitter. »Ich werde dich wieder los. Glaub mir Faethor, ich werde dich wieder los, selbst wenn das mein Ende bedeuten sollte.«
Selbstmord? Faethor schüttelte missbilligend den Kopf. Aber du doch nicht, Harry. Du bist so zäh wie diejenigen, die du jagst und vernichtest. Du wirst dich nicht töten, solange noch die entfernte Möglichkeit besteht, einen von denen zu vernichten.
»Einen von deiner Art, das meinst du doch? Aber du könntest dich irren, Faethor. Ich bin nur ein Mensch. Einen Menschen zu töten ist ganz einfach. Eine Kugel durch den Kopf, wie bei Trevor Jordan? Ich würde es nicht einmal spüren. Glaube mir, das ist eine Versuchung.«
Ich lese in deinen Gedanken keine ernsthafte Absicht, Selbstmord zu begehen. Faethor schien mit den Achseln zu zucken. Warum also tust du so? Glaubst du, ich fühle mich dadurch bedroht? Wie kannst du mir drohen, Harry? Ich bin bereits tot!
»Aber in mir lebst du weiter, nicht wahr? Hör zu, und ich verrate dir etwas: Du weißt in Wahrheit gar nicht, was in meinen Gedanken vorgeht. Ich kann sie verbergen, selbst vor dir. Das kommt von meinen Gesprächen mit den Toten, da habe ich das gelernt. Ich musste ja meine Gedanken vor den Toten zurückhalten. Das habe ich immer getan, um ihnen nicht weh zu tun, aber ich kann es auch andersherum benutzen.«
Einen Moment lang – nur einen Sekundenbruchteil – spürte Harry ein Zögern Faethors. Und er nickte wissend. »Siehst du? Ich weiß, was du denkst, du alter Teufel. Aber du kannst nicht wissen, was ich denke, wenn ich das vor dir verbergen will ... so etwa!«
Tief im Inneren von Harrys Psyche war der Vater der Vampire plötzlich von Nichts umgeben. Es stürzte über ihm zusammen wie eine Decke, die ihn zu ersticken drohte. Es war, als wäre er zurück in der Erde von Ploiesti, wo sein böses Schicksal sich in der Nacht erfüllt hatte, als Ladislau Giresci seinen Kopf abschlug.
»Wie du siehst«, sagte Harry und ließ das Licht seiner Gedanken wieder ein, »kann ich dich ausschließen.«
Nein, Harry, du kannst mich nicht ausschließen. Nur einschließen. Aber in dem Augenblick, in dem du in deiner Wachsamkeit nachlässt, bin ich wieder da.
»Immer?«
Einen Augenblick lang schwieg Faethor. Dann sagte er: Nein. Wir haben eine Abmachung. So lange, wie du dich daran hältst, werde ich das auch tun. Wenn Janos nicht mehr ist, bist du mich auch los.
»Schwörst du das?«
Bei meiner Seele! Janos gluckste wie ein nachtdunkler Sumpf und lächelte körperlos.
Es war der übliche Sarkasmus das Vampirs, aber Harry sagte bloß: »Ich nehme dich beim Wort.« Seine mentale Stimme war so kalt wie der Raum zwischen den Sternen. »Vergiss das nicht, Faethor. Ich nehme dich beim Wort!«
Manolis lenkte das Boot. Es hatte einen kleinen Kabinenaufbau und einen starken Motor, der eine Bugwelle erzeugte, die wie zwei niedrige weiße Wände hinter ihnen das Blau teilte. Sie waren immer in Sichtweite des Landes geblieben, hatten Kap Koumbourno umrundet und die Wasserskifahrer am Strand von Kritika hinter sich gelassen.
Um neun Uhr waren sie am Kap Minas vorbeigekommen, und mit dem Festland an Backbord fuhren sie auf Alimnia zu. Darcy hatte befürchtet, sein Magen werde Probleme machen, aber die See war spiegelglatt und mit dem Fahrtwind auf seinem Gesicht ... man hätte meinen können, man sei auf einem teuren Urlaubstrip. Wenn da nicht die nagende Gewissheit wäre, dass sie direkt einem grausigen Schrecken entgegenfuhren.
Gegen zehn Uhr spielten ein paar Delphine vor dem Bug des Schiffes. Zu dieser Zeit waren sie bereits zwischen den
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