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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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aus nicht viel mehr als ein paar Brettern. Die Zigeuner hatten sie selbst angefertigt. Zharov reichte seine Waffe dem wie vom Donner gerührten Polizisten, der sich im Geiste schon damit abgefunden hatte, dass der nächste Fluch ihm gelten werde, und zog sein Springmesser. Auf Knopfdruck schnellten 25 Zentimeter Stahl mit einer nadelfeinen Spitze hervor. Ohne zu zögern, hob Zharov den Arm und stieß die Waffe wieder und wieder bis zum Heft durch den hölzernen Deckel, so dass die Klinge den Hohlraum darunter und den Körper desjenigen, der sich im Sarg befand, durchbohrte.
    Im Innern des Sarges erklang ein gedämpftes Grunzen: »Öaghh – öargh.« Es klopfte und kratzte plötzlich am Sargdeckel.
    Die dunklen Augen des Zigeuners drohten aus den Höhlen zu treten; er bekreuzigte sich und ging mit wackligen Beinen einen Schritt zurück; ebenso der Polizist. Aber Zharov bemerkte das nicht. Ebenso wenig den plötzlichen, starken Geruch, der nicht nur vom Knoblauch kam. Er grinste bösartig, zog das Messer heraus, schob die Spitze in den Spalt zwischen Deckel und Seitenwand und wuchtete den Deckel los. Dann klemmte er sich das Heft des Messers zwischen die Zähne, ergriff den Deckel mit beiden Händen und hob ihn zur Hälfte hoch.
    Aus dem Innern half jemand das letzte Stück nach ... aber es war nicht Harry Keogh!
    Die Augen des Russen waren riesige Punkte in seinem leichenblassen Gesicht, während Vasile Zirra in seinem Sarg keuchte und schnaufte und einen ledrigen Arm nach Zharov ausstreckte. Er hielt sich an dem Agenten fest, um sich aus seinem Sarg aufzurichten.
    »Mein Gott!«, kreischte der KGB-Mann. »Oh mein Gott!« Sein Messer polterte aus seinem kraftlosen Gebiss in den Sarg. Der alte Zigeunerkönig griff sofort zu und trieb es in Zharovs hervorgetretenes linkes Auge. Er stieß es so tief hinein, dass die Klinge an der Schädeldecke des Hinterkopfes kratzte. Und das reichte. Es war mehr als genug.
    Dem Russen trat roter Schaum auf die Lippen, und er stolperte hölzern nach hinten, bis er von der Seitenwand des Wagens aufgehalten wurde. Er fiel um und gab ein rasselndes Geräusch von sich. Auf dem Boden zuckte er noch kurz. Dann lag er still.
    Aber um ihn herum war Hektik ausgebrochen.
    An der Spitze der Kolonne fuhr einer der Zigeuner Zharovs Wagen in den Straßengraben. Der Grenzer stolperte zurück in die Richtung seines Grenzpostens und brüllte: »Ich hatte damit nichts zu tun – gar nichts!« Der Sprecher der Zigeuner stieg vorsichtig über Zharovs Leiche weg und sah furchtsam auf seinen alten König hinunter, der jetzt wieder steif und tot in seinem Sarg lag. Er bekreuzigte sich ein zweites Mal und schob den Sargdeckel wieder an Ort und Stelle. Dann rief jemand »Vorwärts Marsch!«, und die Kolonne setzte sich wieder in Bewegung.
    Ein paar hundert Meter weiter, wo der Straßengraben tief und mit Dornen und Ranken überwuchert war, entledigte man sich Nikolai Zharovs Leichnam. Er polterte vom Wagen auf die Straße und rollte dann in den Graben, wo er im Grün verschwand.
    Als Harry die Suppenschüssel mit der Droge darin geleert hatte, hatte er Wellesleys Gabe angewandt und seinen Verstand von allen Beeinflussungen von außen abgeschottet. Der Zigeunertrank wirkte schnell; er konnte sich nicht einmal daran erinnern, wie er in den Leichenwagen verfrachtet und in dem leeren zweiten Sarg »zur Ruhe gebettet« wurde.
    Aber seine geistige Isolation hatte auch ihre Nachteile. Zum einen konnten die Toten nicht mehr mit ihm in Verbindung treten. Er hatte das natürlich in Betracht gezogen und es gegen das aufgerechnet, was Vasile Zirra ihm über die kurzzeitigen Auswirkungen der Droge gesagt hatte. Er war sich sicher, er konnte einen Ausfall von ein oder zwei Stunden verkraften. Der alte König hatte ihm aber nicht gesagt, dass ihn schon ein oder zwei Löffel von dem Gebräu betäuben würden. Als er die Schüssel ganz geleert hatte, hatte sich der Necroscope mit einer Überdosis länger als geplant außer Gefecht gesetzt.
    Als er jetzt langsam wieder wach wurde, auf halbem Weg zwischen der unbewussten und der bewussten Welt, ließ er Wellesleys Gedankenschirm fallen und gestattete es sich, das allgegenwärtige Hintergrundgemurmel der Totenstimmen auf sich eindringen zu lassen. Vasile Zirra, der nur ein paar Zentimeter weit von ihm weg lag, war der Erste, der Harrys Wiedererwachen bemerkte.
    Harry Keogh? In der Stimme des alten Mannes klangen Trauer und eine gehörige Portion Enttäuschung mit. Du bist ein

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