ENTSEELT
mehr Zeit habe ich wohl nicht mehr.
Andere Stimmen drängten sich in Harrys Gedanken. Sie kamen von dem Friedhof in Halmagiu:
Harry Keogh ... niemand will mit uns reden. Wer auch immer dich einen Freund der Toten genannt hat, er war ein Lügner!
Er wurde von diesem Vorwurf überrumpelt und antwortete laut: »Ich habe euch um Hilfe gebeten. Ihr habt sie mir verweigert. Es ist nicht meine Schuld, wenn die zahllosen Toten der Welt jetzt mit euch nichts mehr zu tun haben wollen!«
Die Zigeuner, die sich im Licht des Mondes den Berghang hocharbeiteten, sahen sich gegenseitig an. »Ist er verrückt geworden? Er redet ja mit sich selbst!«
Harry öffnete alle Kanäle in seinem Kopf. Er beseitigte alle inneren und äußeren Schranken. Sofort brüllte Faethor ihn an: Du Idiot! Ich bin der Einzige, der dir helfen kann, und trotzdem setzt du mir eine Haube auf wie einem gefährlichen Raubvogel in einem Käfig. Warum machst du das, Harry?
Weil ich dir nicht traue, antwortete der Angesprochene lautlos. Ich traue deinen Motiven nicht, deinen Methoden nicht, und am allerwenigsten deiner schwarzen Seele! Ich misstraue allem, was du sagst oder tust, Faethor. Du bist nicht nur der Vater der Vampire, sondern auch ein Vater der Lügen. Aber du hast die Wahl.
Eine Wahl? Was für eine Wahl?
Verschwinde aus meinem Kopf und geh zurück nach Ploiesti.
Nicht bevor diese Sache beendet ist – ein für allemal!
Und wie kann ich sicher sein, dass du dich daran hältst?
Das kannst du nicht, Necroscope!
Dann bleibst du im Dunkeln, sagte Harry und schottete ihn wieder von allem ab.
Der Aufstieg war zur Hälfte geschafft.
Auf Rhodos war es halb zwei morgens.
Darcy Clarke und sein Team saßen um einen Tisch in einem ihrer Hotelzimmer. Sie hatten sich von ihrer Arbeit erholt, zusammen gegessen und dann über das geredet, was sie durchgemacht hatten und was ihnen wahrscheinlich noch lange zu schaffen machen würde. Aber im Hinterkopf hatten sie alle den Gedanken gehabt, dass ihr eigener Anteil an dieser Schlacht minimal gewesen war, und dass alles, was sie erreicht hatten, nur Makulatur war, wenn Harry Keogh scheitern sollte. Die vorsichtige Erleichterung, die sie verspürten, war nur die Ruhe vor dem wahren Sturm.
Als sie von ihrem späten Mahl nach Hause kamen, hatte Zek eine Idee. Sie war Telepathin, und David Chung war ein Lokalisierer. Zusammen waren sie vielleicht in der Lage, Harry zu erreichen und etwas über seine Lage zu erfahren.
Darcy widersprach sofort: »Aber das ist doch genau das, was Harry auf keinen Fall wollte! Wenn Janos jetzt seine mentalen Klauen in deinen Verstand schlägt ...«
»Ich schätze mal, er wird zu sehr mit Harry beschäftigt sein, um sich noch um etwas anderes zu kümmern«, warf Zek ein. »Außerdem will ich das tun. In Lady Karens Heimstatt – ihrer Feste auf Starside – war es meine Aufgabe, die Gedanken ihrer Wamphyri-Gäste zu lesen. Nicht einer von ihnen hat je gemerkt, dass ich da war, oder wenn es jemand gemerkt haben sollte, ist jedenfalls nichts passiert. Und genauso werde ich das jetzt auch machen.«
Aber Darcy war noch nicht überzeugt. »Ich habe nur an den armen Trevor gedacht«, sagte er. »Und an Sandra.«
»Trevor Jordan war völlig unvorbereitet, und Sandra fehlte die Erfahrung, und ihre Gabe war außerdem sehr unzuverlässig. Ich will sie nicht schlecht machen, ich stelle nur eine Tatsache fest.«
»Aber ...«
»Nein!« Wieder unterbrach sie ihn. »Wenn David mitmacht, will ich das tun. Harry bedeutet mir und Jazz sehr viel.«
Daraufhin appellierte Darcy an Jazz Simmons.
Aber der schüttelte nur mit dem Kopf. »Wenn sie sagt, dass sie das tun will, dann tut sie das auch«, sagte er. »Ich werde daran auch nichts ändern können. Ich bin nur mit ihr verheiratet.«
Grummelnd gab Darcy nach. Schließlich wollte er genauso wie die anderen wissen, wie es Harry ging.
Die drei, die nicht direkt involviert waren – Darcy, Jazz und Ben Trask – saßen um den Tisch herum und verfolgten, was geschah. David Chung hatte die Augen geschlossen und atmete tief und regelmäßig. Seine Hände lagen auf Harrys Armbrust. Zek saß in einer ähnlichen Haltung neben ihm. Ihre Hand lag auf der des Chinesen.
Sie saßen so eine oder zwei Minuten und warteten darauf, dass Chung den Necroscope mit Hilfe eines seiner persönlichen Besitztümer aufspürte. Aber als die Sekunden in gespannter Stille verrannen und die beiden nur noch regloser wurden, begann die Aufmerksamkeit der Zuschauer
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