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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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sicher, das ist es. Es muss ein Teil Ihres Problems sein – es sei denn, Sie waren mir gegenüber nicht ganz offen.«
    Harry hob fragend eine Augenbraue.
    »Über Ihre Gefühle zu Sandra. Sie haben eine gewisse Zwiespältigkeit angesprochen, eine Lustlosigkeit, sogar Potenzprobleme. Es könnte sein, dass Sie Ihren Verlust auf sie übertragen – sublimiert, in ihrem Kopf – und dass Sie Sandra dafür verantwortlich machen, dass Sie kein ...« Er hielt inne.
    »... kein Necroscope mehr sind?«, ergänzte Harry.
    »Es könnte sein.« Bettley zuckte die Achseln. »Aber auf der anderen Seite scheinen Sie eine zwiespältige Haltung gegenüber Ihrem Verlust zu haben. Ich muss Ihnen sagen, manchmal habe ich das Gefühl, Sie sind froh, dass Sie diese Fähigkeit verloren haben, mit den ... den ...«
    »Mit den Toten sprechen zu können«, beendete Harry säuerlich. »Ja, Sie haben ansatzweise recht. Manchmal ist es angenehm, normal und gewöhnlich zu sein. Geben wir es doch zu, die meisten Leute würden mich für eine Missgeburt, ein Monster halten, wenn sie von meiner Veranlagung wüssten. Also haben Sie einerseits recht. Andererseits aber auch wieder nicht.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schloss die Augen und strich sich über die Stirn.
    Bettley musterte ihn erneut.
    Graue Strähnen zogen sich zahlreich durch Harrys mausbraune Naturlocken. Sie waren so gleichmäßig verteilt, dass es schon künstlich, sogar affektiert aussah. Nicht mehr lange, und das Grau würde die Oberhand über das Braun gewinnen; schon jetzt verlieh es ihm eine gewisse Würde, den Nimbus eines Gelehrten. Aber was sollten das für seltsame, esoterische Fächer sein? Harry war kein Gelehrter. Ein Schwarzmagier? Ein Zauberer im zwanzigsten Jahrhundert? Ein Nekromant? Nein, er war nur ein Necroscope, ein Mann, der mit den Toten redete – oder geredet hatte.
    Natürlich hatte er auch andere Fähigkeiten. Bettley sah ihn an, wie er dasaß, mit diesem müden Ausdruck im Gesicht und der Hand auf die Stirn gelegt. All die Orte, an denen dieser Mann schon gewesen war! Die Methoden, wie er dorthin gelangt und vor dort zurückgekehrt war. Welcher Mensch hatte außer ihm je ein obskures mathematisches Konzept als ... als Raumschiff oder auch als Zeitmaschine benutzt?
    Harry öffnete die Augen und ertappte Bettley dabei, wie er ihn anstarrte. Er sagte nichts und starrte einfach nur zurück. Deswegen war er schließlich hier, um angestarrt zu werden, um sich untersuchen zu lassen. Und Bettley war gut und vor allem diskret. Das sagte jeder. Er hatte viele Qualitäten. Sonst hätte ihn INTESP niemals genommen. Nicht zum ersten Mal fragte Harry sich, ob er immer noch für sie arbeitete. Aber das spielte auch keine Rolle. Er kam gut mit Bettley zurecht. Doch Harry war einfach jede Art von Geheimniskrämerei zuwider.
    Der Arzt starrte weiter in Harrys Augen. Sie waren so abgründig wie immer und auch irgendwie abgeschottet; und doch schien es so, als bräuchte Harry diesen engen Kontakt. Diese honigbraunen Augen, so groß, so intelligent und (auch wenn es kaum zu glauben war) so unschuldig! Wirklich unschuldig, wie Bettley wusste. Harry Keogh hatte sich nicht darum gerissen, das zu sein, was er war, und die Dinge tun zu müssen, die er getan hatte.
    Bettley zwang sich dazu, wieder in die Gegenwart zurückzukommen. »Andererseits aber nicht. Sie hätten also gern ihre Fähigkeiten zurück, Sie möchten wieder eine Missgeburt sein? Das waren Ihre Worte, Harry! Aber was werden Sie mit diesen Fähigkeiten machen, wenn Sie sie zurückerhalten? Wie werden Sie sie nutzen?«
    Harry lächelte gequält. Seine Zähne waren stark und gesund, nicht ganz weiß und ein wenig unebenmäßig; der Mund wirkte sensibel, konnte aber auch zu einem schmalen Strich zusammengepresst sein und dann bitter und sogar grausam erscheinen. Vielleicht war grausam aber auch das falsche Wort, und er war dann nur beharrlich und stur.
    »Wissen Sie, ich habe meine Mutter kaum gekannt«, antwortete er träumerisch. »Ich war noch sehr klein, fast noch ein Baby, als sie starb. Aber ich habe sie dann doch kennengelernt ... später. Und sie fehlt mir. Die beste Freundin für einen Jungen ist seine Mutter, kennen Sie den Spruch? Und ... na ja, ich habe viele Freunde da.«
    »Im Grab?«
    »Ja. Wir hatten einige sehr gute Gespräche.«
    Bettley schauderte es, aber er unterdrückte das Gefühl. »Vermissen Sie die Gespräche mit den Toten?«
    »Sie hatten ihre eigenen Probleme, oder sie wollten ihre

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