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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Meinungen loswerden, oder sie fragten sich, wie es wohl weitergegangen war in der Welt der Lebenden. Einige von ihnen machten sich große Sorgen um die Menschen, die sie zurückgelassen hatten. Ich konnte ihnen helfen. Aber die meisten waren einfach bloß einsam! Nichts weiter! Und ich wusste, wie das ist. Ich konnte es fühlen. Es ist grauenvoll, so einsam zu sein. Sie brauchten mich; ich bedeutete ihnen etwas; und ich glaube, es fehlt mir, gebraucht zu werden.«
    »Aber das erklärt alles nicht Ihren Traum«, sinnierte der Arzt. »Vielleicht gibt es dafür keine Erklärung – außer der Angst. Sie haben Ihre Freunde verloren, Ihre Fähigkeiten, die Eigenschaften, die Sie einzigartig gemacht haben. Und jetzt haben Sie Angst, Ihre Männlichkeit zu verlieren.«
    Harry schien nachzudenken und wirkte plötzlich interessierter; er sah Bettley durchdringend an. »Das müssen Sie mir bitte erklären.«
    »Ist das nicht offensichtlich? Ein körperloses weibliches Etwas – ein totes Ding, ein Vampir – verschlingt Ihr wichtigstes Teil, den Teil, der Sie zu einem Mann macht. Dieses Etwas verkörpert die Angst, Ihre Angst. Das klingt simpel, ist es aber nicht. Die Vampirnatur dieser Vorstellung resultiert direkt aus Ihren früheren Erlebnissen. Sie wollen gar nicht normal sein, und je länger Sie es ertragen müssen, desto mehr haben Sie Angst davor. Es ist alles mit Ihrer Vergangenheit verknüpft, Harry; es sind all die Dinge, die Sie verloren haben, und jetzt haben Sie Angst, noch mehr zu verlieren. Sie haben Ihre Mutter verloren, als Sie noch ein Kind waren; dann sind Ihre Frau und Ihr Kind an einen unerreichbaren Ort verschwunden; Sie haben so viele Freunde verloren und sogar den eigenen Körper! Und dann schließlich auch noch Ihre Fähigkeiten. Kein Möbius-Kontinuum mehr, keine Gespräche mit den Toten, kein Necroscope-Dasein ...«
    Harry blickte finster drein. »Was Sie gerade über Vampire gesagt haben, hat mich an etwas erinnert. Sogar an mehrere Sachen.« Er rieb sich wieder die Stirn.
    »Ja?« Bettley versuchte, ihn zum Weiterreden zu bewegen.
    »Ich muss zu der Zeit zurückgehen, als ich noch an der Harden School für Jungen war. Ich hörte schon damals die Toten, aber ich hatte die Gabe noch nicht akzeptiert. Mir wurde davon schwindlig, manchmal wurde mir auch schlecht. Ich meine, das kam alles ganz von selbst, aber ich wusste, es war nicht wie bei anderen Jungs. Ich wusste, es war ganz und gar abnormal. Aber schon vorher hatte ich ... na ja, ich sah Dinge.«
    Bettley war ein Empath, und jetzt fühlte er etwas von dem, was Harry fühlte, und verspürte einen deutlichen Adrenalinausstoß. Jetzt kam etwas Wichtiges. Er warf einen Blick auf eine auf seiner Seite des Tisches eingelassene Taste. Die Anzeige leuchtete rot, das Band lief noch. »Was für Dinge?« Er versuchte, unbeteiligt zu klingen.
    »Ich war noch ganz klein, als mein Stiefvater meine Mutter ermordete. Ich war nicht dabei, und selbst wenn ich das gewesen wäre, hätte das bei mir keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, dafür war ich nicht alt genug. Ich hätte gar nicht begriffen, was da vor sich ging. Und ich hätte mich mit ziemlicher Sicherheit nicht daran erinnern können. Ich konnte es aber auch nicht aus mitgehörten Gesprächen rekonstruieren, weil jeder Shukshins Schilderung des ›Unfalls‹ akzeptiert hatte. Es kam nie der Verdacht auf, er könnte sie ermordet haben – aber ich wusste es. Es war ein Albtraum, den ich immer wieder hatte: Ich sah, wie er sie unter das Eis drückte, bis sie davonschwebte. Und ich sah den Ring an seinem Finger, ein in einen breiten Goldreif eingefasstes Katzenauge. Er rutschte ihm vom Finger, als er sie ertränkte, und sank auf den Grund des Flusses. Fünfzehn Jahre später, als ich zurückkam, wusste ich genau, wo ich danach tauchen musste.«
    Bettley verspürte eine gewisse Aufregung. »Aber Sie waren ein Necroscope – der Necroscope –, und das werden Sie durch die Gedanken Ihrer toten Mutter erfahren haben. Oder?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Nein, ich hatte diesen Traum bereits, lange bevor ich zum ersten Mal bewusst mit den Toten geredet habe. Und in diesem Traum ›erinnerte‹ ich mich an etwas, an das ich mich gar nicht erinnern konnte. Es war eine Gabe, die ich hatte, ohne sie zu erkennen. Sie wissen, dass meine Mutter ein Medium war, und ihre Mutter vor ihr? Vielleicht hat sich das vererbt. Aber als mein größeres Talent, das des Totenhorchens, sich ausbildete, wurde diese andere Gabe in

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