ENTSEELT
hier. Ich wollte mich noch einmal vergewissern, dass meine Erinnerung mich nicht getrogen hat. Und das ist auch der Grund, warum ich jetzt mit Ihnen noch einmal darüber rede.«
»Und?«
»So, wie ich das sehe, funktioniert Keogh wie ein abgestürzter Computer: Er kann auf die Daten, die er braucht und die sich das E-Dezernat zunutze machen will, nicht mehr zurückgreifen. Sie müssen noch da sein, aber man kommt nicht an sie heran. Und bisher haben wir noch keinen Weg gefunden, wie sich das umgehen lässt.«
»Und was schlagen Sie vor?«
»Na ja, ich arbeite noch daran. Aber so, wie ich das sehe ... Wenn wir ihm nur den richtigen Ansporn geben, könnte mit ein bisschen Glück das Gleiche passieren wie damals in Leipzig. Keogh hat in der letzten Zeit unter Albträumen gelitten; und falls das, was Sie über ihn sagen, richtig ist – nicht dass ich daran zweifeln würde, aber trotzdem ist ein ›falls‹ hier angebracht –, dann muss ein Traum, der ihm Angst einjagt, wirklich grauenhaft sein. Aber vielleicht eben doch nicht grauenhaft genug?«
»Wollen Sie ihn zu Tode erschrecken?«
»Nur fast. Er soll sich so fürchten, dass er ins Möbius-Kontinuum flieht.«
Clarke saß geraume Zeit reglos und still da. Schließlich beugte Wellesley sich vor und fragte: »Und? Wie finden Sie die Idee?«
»Wollen Sie meine ehrliche Meinung?«
»Natürlich.«
»Ich finde, die Sache stinkt. Und ich finde, dass Sie sich, wenn Sie Harry Keogh verarschen wollen, vorher gut absichern sollten. Und außerdem kann ich Ihnen nur raten, dass die Sache funktioniert, ansonsten bin ich hier nämlich weg. Egal wie es ausgeht, ich glaube nicht, dass ich danach jemals wieder mit Ihnen zusammenarbeiten kann.«
Wellesley lächelte dünn. »Aber Sie wollen mich los sein, nicht wahr? Also werden Sie mir dabei nicht im Weg stehen?«
»Nein, ich bestehe sogar darauf, daran beteiligt zu sein. Dann kann ich wenigstens dafür sorgen, dass Harry, wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, seine Fähigkeiten wiederherzustellen, diese Chance auch bekommt.«
Wellesley lächelte immer noch. Auch wenn es diese Möglichkeit gibt, dachte er, werde ich dafür sorgen, dass er diese Chance ganz bestimmt nicht bekommt.
Er war einer der wenigen Menschen auf der Welt, der solche Gedanken hegen und sicher sein konnte, dass niemand ihn dabei belauschte, selbst hier im Hauptquartier des E-Dezernats.
SECHSTES KAPITEL
Sandra Markham war siebenundzwanzig, attraktiv und eine noch ungeschulte Telepathin. Bisher war ihr Talent eine unsichere Sache; sie konnte es nicht kontrollieren. Die Fähigkeit kam und verschwand wieder. Aber wenn es Harry Keogh betraf, hatte sie gar nichts dagegen. Manchmal las sie in Harrys Kopf Dinge, die nach ihrer festen Überzeugung nicht da sein sollten. Kein Verstand außerhalb einer geschlossenen Anstalt sollte sich mit so etwas herumplagen müssen.
Sie und Harry hatten sich vor einer Stunde geliebt, und danach war er sofort eingeschlafen. Sandra hatte sich langsam an Harrys Eigenarten gewöhnt; er würde jetzt drei oder vier Stunden schlafen, das reichte ihm dann für die ganze Nacht. Und Sandra? Sie würde bis morgen warten müssen, wo sie in ihrer Wohnung in Edinburgh das Defizit dieser Nacht nachholen konnte.
Sie blickte auf Harrys bleiches, entspanntes Gesicht hinunter, das fast einem kleinen Jungen gehören könnte. Sie sah noch keine Anzeichen für ein REM, die ihr verrieten, dass er träumte. Das bedeutete, dass auch sie sich jetzt entspannen konnte. Sie war in erster Linie an Harrys Träumen interessiert. Wenigstens versuchte sie, sich das einzureden.
Sie arbeitete für das E-Dezernat. Auch wenn sie manchmal wünschte, dass es nicht so wäre, ließ sich das nicht leugnen. Damit verdiente sie ihr täglich Brot und die dazugehörende Butter und Wurst, also konnte sie sich nicht beklagen. Sie hatte auch nie einen Grund zur Klage gehabt, bis zu der Sache mit Harry. Zuerst war er nichts weiter als ein Job gewesen – ein Mann, an den sie herankommen, den sie kennenlernen und begreifen musste –, aber dann war das tiefer gegangen. Es war einfach passiert, und danach wollte sie, dass es wieder und wieder passierte. Und da war es eben nicht mehr nur ein Job gewesen, sondern eine Art, ihr Leben zu verbringen. Nicht nur etwas Verstandesmäßiges, sondern etwas, das sie auch emotional forderte. Und schließlich begann sie sich einzugestehen, dass sie ihn liebte.
Ganz sicher war die Arbeit an Harrys Fall (sie hasste es, es so zu sehen,
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