ENTSEELT
Sachen zusammenzupacken. Wenn diese Geschichte – was das auch war – wieder abgeflaut war, konnte sie immer noch versuchen, ihm ihre Verbindung zum E-Dezernat zu erklären. Und das wäre auch der rechte Moment, um das E-Dezernat hinter sich zu lassen und von vorn anzufangen. Zusammen mit Harry, falls er sie dann noch wollte.
Er streifte sich ein paar Kleidungsstücke über und wartete im Wagen auf sie, bis sie fertig war. Sie fuhren den Feldweg entlang, der die einzige Zufahrt zu dem Haus bildete, überquerten die steinerne Brücke und bogen dann auf die Hauptstraße nach Bonnyrigg ab. Im Dorf konnte sie den Bus nach Edinburgh nehmen. Das hatte sie schon vorher getan, und es war kein großer Umstand.
Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, in dieser Situation noch ein Wort mit ihm zu wechseln, aber als sie aus dem Wagen stieg, ertappte sie sich dabei, wie sie ihn fragte: »Sehen wir uns heute Abend? Soll ich zu dir rüberkommen?«
»Nein«, er schüttelte den Kopf. Als sie sich abwandte, rief er doch noch einmal nach ihr: »Sandra!« Sie sah zurück in sein bleiches, verstörtes Gesicht. Aber dann zuckte er nur hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Rufst du mich an?«
»Ja«, er nickte und zwang sich sogar zu einem Lächeln. »Ach ja, Sandra – es ist alles in Ordnung. Ich meine, ich weiß, du bist schon in Ordnung.«
Bei diesen Worten fiel ihr eine Zentnerlast von der Seele. Es war eine Spannung, die nur Harry Keogh so einfach lösen konnte. »Ja«, sie beugte sich hinunter und küsste ihn durch das offene Wagenfenster. »Wir sind beide in Ordnung, Harry. Mit uns ist alles in Ordnung.«
In Edinburgh warteten Darcy Clarke und Norman Wellesley auf der Straße vor dem massigen alten Häuserblock, in dem Sandra wohnte. Sie saßen auf der Rückbank von Wellesleys Wagen, der am Straßenrand parkte. Es waren noch zwei weitere Männer vom E-Dezernat im Auto. Als Sandra in Sicht kam, stiegen Clarke und Wellesley aus und fingen sie an der Haustür ab. Sie wohnte im Parterre; stillschweigend geleitete sie sie hinein.
»Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Miss Markham«, begrüßte Wellesley sie und setzte sich.
»Clarke war weniger förmlich. »Wie steht’s, Sandra?« Er lächelte gezwungen.
Sie erhaschte einen kurzen Blick in seinen Verstand, doch dort herrschten Chaos und Ungewissheit. Nichts, mit dem sie etwas anfangen konnte. Natürlich war auch Harry irgendwo da drin. Warum sonst waren die beiden wohl hier?
»Kaffee?« Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie in der Kochnische. Sollten die doch den Anfang machen.
»Ja, wir haben Zeit für einen Kaffee«, meinte Wellesley in seiner herablassenden, gönnerhaften Art, so als wäre es sein gottverdammtes, gottgegebenes Recht! »Aber eigentlich haben wir sehr viel zu tun und werden unseren Besuch nicht über Gebühr ausdehnen. Wenn wir also direkt zur Sache kommen könnten: Haben Sie vor, sich heute Abend mit Keogh zu treffen?«
Einfach so ... und »Keogh«, nicht »Harry«. Schläft er in deinem Bett oder du in seinem? Das war es, was Wellesley wissen wollte. Ihr vögelt doch wieder heute Abend, oder?
Irgendwas an diesem Kerl brachte Sandra auf die Palme. Und die Tatsache, dass sein Verstand ein absolutes Loch war, aus dem nicht einmal der geringste Schimmer hervordrang, war nur ein kleiner Teil des Problems. Aus der Nische heraus warf sie ihm einen eisigen Blick zu.
»Er hat gesagt, er wird vielleicht anrufen«, antwortete sie emotionslos.
»Es geht nur darum, dass es besser wäre, wenn du ihn heute Nacht nicht treffen würdest, Sandra.« Clarke sprang hastig ein, bevor Wellesley dieses stumpfe Instrument, das er eine Zunge nannte, wieder benutzen konnte. »Es geht darum, dass wir selbst ihm einen Besuch abstatten wollen. Und wir möchten ein – na, du weißt schon – ein peinliches Zusammentreffen vermeiden.«
Sie wusste gar nichts. Aber sie brachte ihnen den Kaffee und schenkte Darcy ein Lächeln. Es war ihr unangenehm, wie unwohl er sich offenkundig in Gesellschaft seines Vorgesetzten fühlte. Der auch ihr Vorgesetzter war, wenn auch nicht mehr lange. Nicht, wenn sich die Dinge so entwickelten, wie sie sich das erhoffte. »Aha. Also, was ist los?«
»Nichts, worüber Sie sich Gedanken machen müssten.« Wellesley war deutlich pikiert. »Nur Routinekram. Und bedauerlicherweise geheim!«
Plötzlich hatte sie Angst ... um Harry. Noch mehr Komplikationen? Etwas, das ihren eigenen Plänen in die Quere
Weitere Kostenlose Bücher