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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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um sich seine Bücher anzusehen oder sich noch tiefer in den Dunstkreis von Zeiten, Ländern und Legenden zu verlieren, die seit Langem vergangen waren. Nein, wie es schien, war die Zeit für diese Dinge, für das Studieren und die zum Scheitern verurteilten Versuche des Verstehens, nun vorbei. Seine Träume von roten Fäden unter den blauen gehörten in die Gegenwart, ins Hier und Jetzt, und zumindest eines hatte er in seinem seltsamen Leben gelernt: Er sollte seinen Träumen vertrauen.
    Die Wamphyri haben ihre Kräfte, Vater! Ein Nachhall? Ein Flüstern? Das Scharren von Mäusen? Oder ... eine Erinnerung?
    Wie lange wird es dauern, bis sie nach dir suchen und dich finden?
    Nein, diesmal war er nicht heraufgekommen, um in seinen Büchern zu blättern. Man muss die Taktik eines Feindes vor dem Angriff studieren. Es ist zu spät, wenn er bereits vor der Tür steht. Nun, so weit war es noch nicht. Noch nicht! Aber Harry hatte davon geträumt, und er vertraute auf seine Träume.
    Er nahm eine moderne Waffe (auch wenn sich das grundsätzliche Prinzip in den letzten sechzehn Jahrhunderten nicht sonderlich geändert hatte) von ihrem Haken an der Wand und trug sie zu einem Tisch hinüber, wo er sie auf Zeitungspapier legte und begann, die Apparatur zu reinigen, zu ölen und zu kontrollieren. Außer dieser Waffe hatte er noch ein Beil in der Ecke stehen, dessen gekrümmte Schneide rasiermesserscharf glitzerte. Das war alles.
    Es waren schon ungewöhnliche Waffen gegen eine Macht, deren Potenzial zur Zerstörung und Vernichtung möglicherweise größer war als alle Kernwaffen der Menschheit. Aber zurzeit waren es die einzigen Waffen, die Harry hatte.
    Und sie sollten auch bereit sein.
    Der Nachmittag verging ohne Zwischenfall. Warum auch nicht? Es waren Jahre vergangen, in denen nichts passiert war, so weit es Harrys Verstand und seine Identität betraf. Er verbrachte den größten Teil seiner Zeit damit, über seine Lage nachzudenken (dass er nicht länger ein Necroscope war und dass er nicht länger das Möbius-Kontinuum betreten konnte), und welche Möglichkeiten es geben konnte, um diese Situation zu verbessern und seine Fähigkeiten zurückzugewinnen, bevor sie ganz verkümmerten.
    Es war möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich, wie Harry zugeben musste, wenn man sein fehlendes mathematisches Verständnis in Betracht zog, dass Möbius, falls er mit ihm spräche, den mathematischen Kompass wieder justieren könnte, der in seinem Verstand aus dem Ruder gelaufen war. Aber es war ja unmöglich mit ihm zu reden. Denn schließlich war Möbius seit mehr als hundert Jahren tot, und Harry durfte unter Androhung fürchterlichster Qualen nicht mit den Toten sprechen.
    Er konnte nicht mit den Toten sprechen, aber vielleicht suchten die Toten gerade in diesem Augenblick nach Wegen, mit ihm in Kontakt zu treten. Er vermutete, nein, er war sich sogar sicher, dass er im Traum mit ihnen sprach, auch wenn es ihm verboten war, sich daran zu erinnern, oder das, was sie ihm verrieten, zur Grundlage seines Handelns zu machen. Aber er hatte von ihnen eine Warnung erhalten, auch wenn er nicht wusste, wovor.
    Aber eines war sicher: In ihm und in jedem Mann, Frau und Kind auf der Erde erstreckte sich ein blauer Faden aus der Vergangenheit in die Gegenwart und von da aus weiter in die Zukunft der Menschheit. Und er hatte davon geträumt – oder war davor gewarnt worden –, dass sich rote Fäden darunter gemischt hatten.
    Abgesehen von diesem Gefühl, dieser Vorahnung von etwas Schrecklichem, war das alles ein Rätsel ohne Lösung, ein Irrgarten ohne Ausgang, die Quadratwurzel aus minus eins, deren Wert sich nur in abstrakten Zahlen ausdrücken ließ. Harry wusste, dass diese letzte Aussage stimmte, auch wenn er nicht mehr verstand, was das bedeutete. Und dieses Rätsel hatte er fast bis zur Verzweiflung ergründet, das Labyrinth bis zur Erschöpfung erforscht, und nur an die Gleichung hatte er sich nicht gesetzt, weil sie – wie alle mathematischen Konzepte – bei ihm nicht aufgehen würde.
    Abends saß er da und schaute Fernsehen, hauptsächlich, um sich zu entspannen. Er überlegte, Sandra anzurufen, tat es dann aber doch nicht. Auch sie hatte ihre eigenen Probleme, das wusste er. Und was für ein Recht hatte er, sie in diese Sache hineinzuziehen, von der er nicht wusste, was daraus werden würde? Keines.
    Und so verging die Zeit. Aus dem Abend wurde Nacht, Harry bereitete sich aufs Zubettgehen vor und blieb dann doch dösend in seinem

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