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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Zukunft schossen, dem weit entfernten blauen Dunst entgegen, der die Ausbreitung der Menschheit durch die drei üblichen Dimensionen der Raumzeit darstellte. »Und was sind diese unglaublich vielen blauen Streifen, Harry?«
    »Das sind die Lebensfäden der menschlichen Rasse. Sehen Sie den da? Den, der dort gerade in diesem Moment auftaucht, so rein, so leuchtend blau, dass er fast schon blendet? Das ist ein neugeborenes Baby, das noch einen langen Weg vor sich hat. Und der da drüben, der immer blasser wird und gleich verlöscht?« Er senkte respektvoll die Stimme. »Das ist ein alter Mann, der im Sterben liegt.«
    »Was – Sie – nicht – sagen!« Jack Laberkopp war angemessen beeindruckt. »Aber Sie kennen sich damit natürlich aus, nicht wahr, Harry? Ich meine, mit dem Tod und so? Denn schließlich sind Sie ja derjenige, den man den Necro... na, wie heißt das doch gleich?«
    »Der Necroscope.« Harry nickte. »Wenigstens war ich das.«
    »Na, ist das nicht mal etwas Besonderes, Jungs?« Wenn Laberkopp grinste, strahlten seine Zähne wie Klaviertasten. »Harry Keogh ist der Mann, der mit den Toten reden kann! Und er ist der Einzige, dem sie antworten – auf die freundlichste Art! Wissen Sie, die Toten lieben ihn. Also«, er wandte sich wieder Harry zu. »Wie nennen Sie diese Form der Kommunikation, Harry? Ich meine, wenn Sie mit den Toten reden? Wissen Sie, vor kurzer Zeit haben wir hier Mrs Zdzienicki gehabt, und die hat uns alles über Stummen- und Taubensprache erzählt und ...«
    »Totensprache«, unterbrach ihn Harry.
    »Totensprache? Tatsächlich? Was – Sie – nicht – sagen! Nun, wenn Sie nicht die interrressssante ...« Er hielt inne und blinzelte über Harrys Schulter.
    »Ja?«
    »Noch eine letzte Frage, mein Sohn«, drängte Laberkopp plötzlich, wobei sich seine zusammengekniffenen Augen auf etwas hinter Harrys Blickfeld konzentrierten. »Sie haben uns doch diese Sache mit den blauen Lebensfäden erzählt, aber was bedeutet denn jetzt ein roter Faden?«
    Harrys Kopf fuhr herum. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf einen roten Faden, der gerade in diesem Augenblick auf ihn zuschoss.
    »Ein Vampir!«, brüllte er und rollte aus seinem Sessel in die Dunkelheit des Zimmers.
    Im Türrahmen, der in den Rest des Hauses führte, stand die Silhouette einer Gestalt, die nur eines sein konnte. Schließlich wusste er, was hinter ihm her war.
    Neben seinem Sessel stand ein kleines Tischchen, das Harry bei seinem Sturz umgeworfen hatte. Als er in der Dunkelheit herumtastete, fanden seine suchenden Finger zwei Gegenstände: eine Tischleuchte, die zu Boden gefallen war, und die Waffe, mit der er sich am Nachmittag beschäftigt hatte. Und die war geladen.
    Er knipste die Lampe an, ging hinter dem Sessel in Deckung und brachte die glänzende stählerne Armbrust in Anschlag. Er sah, dass sein schlimmster Albtraum in das Zimmer eingedrungen war.
    Das Ding war unverkennbar: Die schiefergraue Farbe des Fleisches, die klaffenden Kiefer und die Reihen nadelspitzer Zähne, die spitzen Ohren und das Cape mit dem hohen Kragen, der den Schädel und die bedrohliche Gestalt betonte. Es war ein Vampir – so, wie er in Comics vorkam! Und auch wenn ihm klar war, dass er es hier nicht mit einem echten Vampir zu tun hatte (und wenn überhaupt jemand, dann musste er das wissen), verkrampfte sich sein Finger am Abzug.
    Es war eine instinktive Reaktion. Dieser Körper, den er bis zur Perfektion trainiert hatte, arbeitete so, wie er es in hundert Simulationen dieser Situation eingeübt hatte. Und trotz der Tatsache, dass er unvermittelt aus dem Schlaf gerissen worden war, und dem Wissen, dass es sich hier um eine billige Kopie handelte, wurde das Adrenalin ausgeschüttet, sein Herz hämmerte und der vierzig Zentimeter lange gehärtete Holzpfeil seiner Waffe war bereits unterwegs. Erst im letzten Sekundenbruchteil hatte er versucht, ein Unglück zu verhindern, indem er die Armbrust nach oben riss. Es reichte aus, aber nur um Haaresbreite.
    Als Wellesley die Armbrust in Harrys Händen gesehen hatte, hatte er hinter seiner Maske panisch aufgekeucht und versucht zurückzuweichen. Das Geschoss verfehlte sein rechtes Ohr nur um Millimeter, durchschlug den Kragen seiner Verkleidung und schleuderte ihn an die Wand. Der Pfeil bohrte sich tief in den Putz und die brüchigen Steine und nagelte ihn dort fest.
    Wellesley spuckte sein falsches Gebiss aus und schrie: »Um Himmels willen, du Vollidiot. Ich bin’s doch!« Aber das war mehr

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