Entsetzliches Gleichmaß
sie, dass Entek sie in einem der kleinen Konferenzräume erwartete. Der schmucklose graue Raum enthielt nur einen Tisch und zwei Stühle und diente zum Üben von Verhörtechniken – wie man sie durchführte und wie man sie überstand. Iliana suchte das Zimmer umgehend auf, ohne sich zuvor ihrer Reisetasche zu entledigen. Entek saß auf dem Stuhl der Tür gegenüber. Vor ihm auf dem Tisch lag eine breite, flache Schachtel.
»Das habe ich«, beantwortete sie seine Frage. »Vielen Dank.« Dann nickte sie in Richtung der Schachtel. »Was ist das?«
»Ein Geschenk«, sagte Entek. »Nur eine Kleinigkeit, die Sie meiner Ansicht nach haben sollten.«
»Oh.« Sie war natürlich skeptisch, aber auch neugierig. »Darf ich …?«
»Gleich. Erzählen Sie mir zuerst von Ihren Eltern.«
»Es geht beiden gut.«
»Wie hat man Sie nach all der Zeit empfangen?«
Iliana runzelte die Stirn. »Wollen Sie irgendetwas Bestimmtes wissen?«
»Nur Ihre Eindrücke. Und, bitte, setzen Sie sich.«
Iliana seufzte und kam der Aufforderung nach. »Sie schienen froh, mich zu sehen. Ihre Karrieren verlaufen nach wie vor erfolgreich. Das Haar meines Vaters wird allmählich grau.«
»Ich verstehe«, erwiderte Entek. »Kein Wort darüber, wie Sie das vergangene Jahr verbracht haben?«
»Meine Eltern sind klug genug, mich nicht nach meiner Ausbildung zu fragen. Tekeny und ich unterhielten uns höchst angeregt über unsere Außenpolitik. Ich wollte mich mit Kaleen darüber unterhalten, wie wir in außerplanetaren Stützpunkten Recht sprechen, aber sie schien kein Interesse daran zu haben. Eher …«
»Ja?«, hakte Entek nach, als sie ein wenig zu lange zögerte.
»Meine Mutter wirkte eher traurig«, gestand Iliana. »So traurig wie nie zuvor. Melancholisch.«
Entek nickte. »Das ist verständlich. Lady Ghemor glaubt, ihr einziges Kind verloren zu haben.«
Iliana schnaubte. »Das ist lächerlich.«
»Vielleicht für Sie«, sagte Entek. »Aber versetzen Sie sich einmal in ihre Position. Dies ist nicht das Leben, das ihr für Sie vorschwebte. Es schmerzt sie, in Ihnen nicht mehr das Mädchen zu sehen, an das sie sich erinnert.«
»Trotzdem wird sie mit der Zeit schätzen lernen, was aus mir wurde.«
»Zweifellos.«
Iliana verschränkte die Arme. »Seit wann interessieren Sie sich eigentlich so sehr für mein Verhältnis zu meinen Eltern?«
»Ich wollte nur sichergehen, dass Sie sich während Ihrer Auszeit an die Regeln gehalten haben.«
»Ersparen Sie mir die Lügen. Wir wissen doch beide, dass Sie mühelos hätten herausfinden können, was in jeder einzelnen Sekunde der vergangenen drei Tage im Haus meiner Eltern geschehen ist.« Iliana beäugte die Schachtel kritisch. »Was ist das, Corbin?«
Er schob sie zu ihr. Sie hob den Deckel an. In der Kiste lag ein Zeichenpadd. Es wirkte vertraut.
Iliana stand abrupt auf und wich vom Tisch zurück. »Sie hatten kein Recht …«
»Recht?«, wiederholte Entek. »Ich habe jedes Recht. Mehr noch, ich habe eine Verpflichtung.«
»Rechtfertigen Sie so einen Eingriff in meine Privatsphäre? Das hier war etwas zwischen mir und meiner Mutter!«
Er sah sie seltsam an. »Bitte sagen Sie mir, dass Sie nicht so naiv sind.«
Sie starrte ihn an, anfangs zu schockiert für eine Erwiderung. »Ist das alles hier ein Spiel für Sie?«
Entek lehnte sich zurück. »Eher ein Rätsel. Eines, das ich schon seit einer ganzen Weile zu lösen versuche.«
»Ein Rätsel?«, wiederholte sie. Ihr Ärger wuchs sekündlich. »Sie meinen mich damit, richtig?«
Entek deutete mit beiden Händen auf das Zeichenpadd. »Ihre Mutter gab Ihnen dieses Geschenk am ersten Abend Ihres Besuchs. Sie verweigerten die Annahme, warfen es sogar fort. Warum?«
»Ich zeichne nicht mehr«, sagte sie schlicht.
»Weshalb nicht?«
»Was kümmert es Sie?«
»Haben Sie sich nicht so.«
»Weil es keinen Sinn hat. Es erinnert mich nur an die vergeudeten Jahre vor meinem Eintritt in den Orden.«
»Iliana, dies war ein Geschenk Ihrer Mutter.«
Mit einer einzigen, schnellen Bewegung wischte Iliana mit den Händen über den Tisch und warf die offene Schachtel durch den Raum. Das Padd flog heraus und zerschellte an der nüchternen grauen Wand. »Ich bin kein Kind, das sich neues Spielzeug wünscht!«, rief sie.
Entek runzelte die Stirn. »Beschämt es Sie wirklich so sehr, was für eine Frau Sie einst waren? Ist nichts mehr von ihr in Ihnen?«
Iliana schüttelte fassungslos den Kopf. »Warum interessiert es Sie so sehr, wer ich früher war,
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