Entsorgt: Thriller (German Edition)
diesem Stadium ihrer Beziehung nicht mit weiteren Fragen löchern konnte, ohne sie zu verärgern, und das war das Letzte, was er wollte. Aber tat er nicht genau das, was ihm an ihm selbst und an anderen am meisten missfiel, indem er ihr sein Unbehagen nicht offenbarte?
Sie hatte ihm erzählt, sie habe ihn beim Rasenmähen im Garten ihrer Eltern verloren. Die Narbe um den verbleibenden Knöchel glänzte immer noch violett. Wenn sie die anderen Zehen bewegte, drückte der Knochenstumpf von innen gegen das vernarbte Gewebe und färbte es weiß. Irgendetwas an ihrer Antwort auf die Frage »Wie ist das passiert?« nährte in ihm den Verdacht, dass sie ihn belog, aber er verstand nicht, was sie dazu veranlassen könnte. Er hatte sie kein weiteres Mal danach gefragt.
War es ihr peinlich? Hatte sie Angst, sich vor ihm zu blamieren? Wenn schon, ihn störte das nicht. Er mochte ihre gelegentlichen Albernheiten. Unfälle konnten jedem zustoßen, und niemand machte dabei eine gute Figur. Vielleicht hatte ihr jemand Gewalt angetan. Kevin verfolgte den Gedanken weiter. War sie entführt worden? Ihr Zeh eine Drohung des Kidnappers, um die Ernsthaftigkeit seiner Absichten zu demonstrieren, bevor sie gerettet oder das Lösegeld bezahlt und sie befreit wurde?
Da nagten noch andere Dinge an ihm. Wo war ihr Zeh jetzt? Vielleicht hatte sie sich eine Infektion zugezogen, und der Zeh musste amputiert werden. Er nahm an, dass Krankenhausabfälle verbrannt wurden, aber das war bloß eine Vermutung. Wenn sie den Zeh tatsächlich bei einem Unfall mit dem Rasenmäher verloren hatte, war er vielleicht zu stark beschädigt worden, als dass man ihn wieder hätte annähen können. Oder man hatte ihn nicht finden können. In diesem Fall wäre das Fleisch irgendwo auf dem Rasen verwest, der Knochen von einem Fuchs verschleppt worden oder einfach irgendwo in der Erde versunken. Zwei kleine Knöchelchen, mit einem Gelenk dazwischen. Verloren, weggeworfen, gestohlen, wer weiß?
Eines Tages, wenn sie einander besser kannten und das Vertrauen zwischen ihnen gewachsen war, würde er sie noch einmal danach fragen. Und er wusste, dass er seine eigenen Prinzipien verriet, indem er es aufschob.
Als Don Mrs. Doherty das nächste Mal besuchte, versicherte er sich, dass Mr. Doherty nicht zu Hause war. Drei Tage lang überwachte er das Haus, bis es endlich soweit war. Er sah, wie Mr. Doherty in seinem BMW Z3 aus der Auffahrt ausparkte. Allein. Don war es egal, ob ihm lediglich zehn oder auch nur fünf Minuten blieben. Er musste sie sehen.
Er sprühte sich Deo unter die Achseln – sein Dad nannte das eine Zigeunerdusche – und in seine Turnschuhe, bevor er hineinschlüpfte, und eilte aus dem Haus. Er versuchte gar nicht erst, es lässig aussehen zu lassen. Jeder in der Nachbarschaft, der aus dem Fenster blickte, würde sehen, wohin er ging. Ihnen würde die Zielstrebigkeit seines Gangs auffallen. Es kümmerte ihn nicht mehr. Schnellen Schrittes, aber ohne Panik, führte ihn sein Weg schnurstracks vor ihre Haustür. Sein Herz pochte, als wolle es die Gefängnisgitter seiner Rippen sprengen. Er ignorierte es. Er würde tun, was er tun musste, und dann würde endlich alles gut. Kein gebrochenes Herz mehr. Keine Qualen. Ein wunder Schwanz vielleicht, aber ein erfüllter. Nur einen kurzen Moment. Das war alles, was er brauchte.
Er sah einen Umriss durch das Milchglas. Das Herz pochte ihm im Hals, und er versuchte das Pochen hinunterzuschlucken.
Diesmal kam sie an die Tür.
Sie.
Sie standen in der Küche. Mrs. Doherty lehnte an ihrem Frühstückstresen, in der Hand einen Kaffee. Sie sah aus, als hätte sie ungewöhnlich viel Make-up aufgetragen. Ihre Augen wirkten müde. Irgendetwas an ihr war anders, aber Don wusste nicht, was. Schlimmer noch, er wusste, dass er es möglicherweise herausgefunden hätte, wenn er älter und ein wenig erfahrener gewesen wäre. Er verfluchte sein jugendliches Alter.
Sie trug weiße Radlershorts und ein enges blaues Sporttrikot. Don wusste nicht recht, ob sie modische Gründe dafür hatte oder nicht. Er hatte sie jedenfalls noch nie joggen oder sportlich verschwitzt nach Hause zurückkommen sehen. Er wusste lediglich, dass dieses Outfit reichlich nackte Haut zeigte und sich wie Latex an ihre Kurven schmiegte. Er steckte die linke Hand in die Hosentasche, um seine Erektion zu verbergen.
Schweigend musterte sie ihn, als wartete sie darauf, dass er ihr den Grund für seine Anwesenheit nannte. Er wusste nicht, was er sagen
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