Entsorgt: Thriller (German Edition)
Kehle war wie zugeschnürt. Der Laut, den er schließlich mühsam hervorstieß, hatte mit seiner Stimme nicht die geringste Ähnlichkeit.
»Das freut mich. Du warst noch nie bei uns oben, oder? Wir haben dort nämlich gerade erst renoviert.«
Ray traf gegen eins im The Barge ein und bestellte ein großes Glas Cider, um seinen Durst zu stillen. Der kurze Weg von seiner Bude hierher hatte ausgereicht, ihn ins Schwitzen zu bringen. Er hatte förmlich spüren können, wie der Bürgersteig die Hitze reflektierte, und war heilfroh, sich für die abgeschnittene Jeans entschieden zu haben. Die Ärmel seines Army-Hemds hatte er bis über die Ellbogen hochgekrempelt. Ray Wade würde, ganz gleich bei welchem Wetter, niemals Sandalen tragen. Seine nackten Füße zu zeigen, gab ihm das unangenehme Gefühl, schrecklich verwundbar zu sein. Eher hätte er sich in der Öffentlichkeit entkleidet, als seine Schuhe auszuziehen. Er bevorzugte hohe Schuhe, daran konnte auch das heiße Wetter nichts ändern. Das größtmögliche Zugeständnis daran waren die knöchelhohen Converse-Leinenturnschuhe, die er heute trug. Mit einem zerknitterten Schlapphut schützte er sich vor einem Sonnenstich.
Das The Barge war bereits voller Menschen, die den plötzlichen Sommereinbruch genossen. Draußen, neben dem kleinen Spielplatz, hatten sich größtenteils Familien mit Kindern zum Essen niedergelassen. Überall saßen Grüppchen von Studenten. Im Biergarten wimmelte es demnach von Leuten, mit denen man sich unterhalten konnte. Ray schloss sich einer Clique von Psychologiestudenten an, deren Bekanntschaft er durch Jenny gemacht hatte und die gerade über die TV-Sendung Big Brother diskutierten. Wobei bereits die Wahl ihres Gesprächsstoffs sie seiner Meinung nach als Fernsehkritiker disqualifizierte. In Rays Augen stank Big Brother vor voyeuristischer Ausbeutung zum Himmel.
»Die Sendung ist eine beschissene Freakshow«, sagte er. »Und zwar genau die Sorte, mit der die von der Regierung davon ablenken wollen, dass sie unsere Freiheit und unser Privatleben einschränken und bespitzeln, wo und wann sie nur können. Die Kandidaten in der Show gehören allesamt hingerichtet.«
Bis dahin hatten sich die anderen Gesprächsteilnehmer zwar nicht gerade begeistert, aber zumindest fasziniert von der Reality-Show gezeigt. Kaum hatte Ray seinen Standpunkt kundgetan, herrschte Stille. Vielleicht hatte ihm das dritte Glas Cider ein wenig zu sehr die Zunge gelöst. Und wenn schon. Mit einem provozierenden Grinsen in die Runde, deren Teilnehmer durch die Bank gut zwei Jahre jünger waren als er, forderte er sie zum Widerspruch auf. Die stillste von ihnen war ein stark geschminktes Goth-Mädchen mit lilafarbenen Strähnen im schwarzen Haar. Ihre Haut setzte sich porzellanweiß von ihrer langen Robe ab, und ihre Piercings glitzerten im Sonnenlicht.
»Todesspritze oder Erschießen?« fragte sie in die sich hinziehende Gesprächspause hinein.
Rays Grinsen wurde breiter.
»Wie wär’s mit dem guten alten Galgen?«
Das Gothgirl – ihr Name war Delilah, auch wenn Ray ihr das nicht so ganz abnahm – schüttelte den Kopf.
»Öffentliche Hinrichtungen würden denen doch in die Hände spielen. Man sollte sie dazu verurteilen, den Rest ihres Lebens allein und unbeobachtet zu verbringen. In dem Wissen, dass ihnen niemals mehr jemand auch nur ein Fünkchen Aufmerksamkeit widmen wird.«
Ray prostete ihr zu.
»Nicht schlecht.«
Jedes Mädchen, das bei 35 Grad im Schatten ein bodenlanges schwarzes Kleid trug, hatte bei ihm einen Stein im Brett. Er versuchte durch ihre Kleidung hindurch die Größe ihrer Brüste zu schätzen. Sie schienen recht voll zu sein. Aber bei diesen Goth-Tussis konnte man sich nie sicher sein. Schließlich zogen sie sich ja so an, weil sie etwas zu verbergen hatten. Die meisten von denen waren bulimisch, Borderliner oder hatten irgendwelche Zwangsneurosen.
Delilah lächelte zurück, während die anderen das Thema wechselten und die Unterhaltung wieder aufnahmen. Er fragte sich, ob er sie zu sehr angeglotzt hatte, und kam schnell zu dem Schluss, dass es ihm egal war. Ray stand auf.
»Noch jemand was zu trinken?«
Die Frage hätte er nicht gestellt, wenn die Studenten in der Runde nicht volle Gläser vor sich gehabt hätten. Alle bis auf Delilah, die später als der Rest der Gruppe dazugestoßen war. Sie war durstig.
»Ich hätte gerne noch ein Glas Cider, bitte.«
Sie zog ein abgegriffenes Portemonnaie hervor.
»Zahl einfach die
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