ENTWEIHT
Schon mein ganzes Leben lang durchwandere ich diese Gegend und nie hatte ich Schwierigkeiten, doch du hetzt mir die Polizei auf den Hals. Wie einen gemeinen Verbrecher haben sie mich von meinem Stamm weggeholt, und weshalb? Wegen einer Handvoll Altweibergeschichten und Märchen, wegen bösartiger Lügen und Gerüchte. Und du erwartest, dass ich noch mit dir rede? Vor einem wie dir kann ich keinen Respekt haben, weiter habe ich dir nichts zu sagen ...« Damit wandte er das Gesicht ab.
Lardis nickte. »Alter König«, erwiderte er, »ich erkenne an, dass du König deines Volkes bist – aber mehr auch nicht. Es gibt einen Grund, aus dem ich dir diese Achtung zolle – weil ich nämlich selbst ein König bin. Nur dass ich es vorziehe, dass man mich Anführer nennt. Allerdings habe ich, im Gegensatz zu deinen Vorfahren, meinen Stamm nie in die Sklaverei geführt. Und ich gebe dir recht: Ich hätte dich nie in deinem Lager aufsuchen dürfen – nicht ohne mich vorher zu vergewissern, dass ich ausreichend Rückendeckung habe und auch von vorn und den Seiten gedeckt bin, und von oben und unten ebenfalls – denn hätte ich dies in den alten Zeiten getan, zur Zeit deiner Vorväter, in einer Welt, die ihr längst vergessen habt, hätte ich mich in furchtbare Gefahr begeben. Und du nennst mich einen Verräter? Ha, bei allen wahren Söhnen der Szgany sind allein die Namen Ferenc, Ferenczy und Ferengi noch heute Schimpfwörter! Wahrscheinlich weißt du es nicht, alter Mann, aber du entstammst einer langen Reihe von tributpflichtigen Hunden, die einst ein Ungeheuer ihren Gebieter nannten und versuchten, seine Begierden mit dem Blut eines jeden zu stillen, der das Pech hatte, sich in ihr Gebiet zu verirren. Schlimmer noch, sie opferten ihm selbst das Fleisch ihrer eigenen unschuldigen Kinder!«
Lardis hatte seine Worte mit Bedacht gewählt und trug sie emotionslos, mit gleichbleibender Stimme im kehligen Szgany der alten Sonnseite vor, einem in dieser Welt so gut wie vergessenen Dialekt. Doch Vladi hatte genug verstanden, um aufzuhorchen und aufmerksam zuzuhören.
»Eh! Was?« Sein Gesicht zerbrach in tausend Falten und seine wässrigen Augen begannen zu funkeln. »Lügen und Beschimpfungen? Von einem wie dir? Ferenc? Aye, den Namen kenne ich aus den Geschichten, die mein Großvater mir am Lagerfeuer erzählte, und er hatte sie von seinem Großvater. Der Ferenc war eine glorreiche Gestalt! Ein großer Boyar aus alten Zeiten, der meine Vorfahren von einem der seltsamen Orte aus in diese Welt führte. Ha, wir nahmen sogar seinen Namen an – die Szgany Ferengi – und ich habe es zu meinem Lebenswerk gemacht, diese Welt auf der Suche nach seinem Gesandten, wenn nicht gar seinem Nachkommen zu durchstreifen. Unseren Legenden zufolge wird ein solcher nämlich eines Tage zu uns kommen. Also habe ich gesucht und warte auf diesen Gesandten, vielleicht gar auf einen Lord genau wie Ihn, der dazu bestimmt ist, von den seltsamen Orten zu uns zurückzukehren und uns wieder zu unserem einstigen Ruhm zu führen. Darin besteht mein einziges … mein einziges Streben seit … seit zahllosen ...«
An dieser Stelle verstummte Vladi stockend. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sackte in sich zusammen, so als fürchte er, er habe bereits zu viel gesagt.
»... seit zahllosen Jahren, aye«, führte Lardis den Satz des alten Zigeuners mit einem Nicken zu Ende. »Eine lange, lange Zeit, Vladi – dein ganzes Leben hast du dafür verschwendet, so wie dein Vater vor dir. Und was hast du gefunden? Ein Scheusal, das sich eine der deinen holte – und sie verwandelte! Täusche dich nicht: Ich kenne eure blutige Geschichte, mein Freund. Nun sieh mich an und sage mir: Kannst du es denn nicht sehen und hören? Den Glanz der durch die Baumkronen ferner Wälder brechenden Sonne in meinen Augen? Und meinen Dialekt, die alte, ursprüngliche Sprache der Szgany, einer anderen Welt? Falls jemand die Wahrheit erkennt, wenn er sie vor Augen hat, dann doch gewiss du? Was denn, Vladi Ferengi mit seinem alten Riecher? Nun, und was verrät dein Riecher dir über Lardis Lidesci?«
Der Hellseher Ian Goodly, der einige – seiner Meinung nach viel zu viel – Zeit auf Starside verbracht hatte, verstand einen Großteil dessen, was Lardis sagte. Indem er sich auf seinem Stuhl aufrichtete, warf er seinem alten Freund einen warnenden Seitenblick zu, schwieg jedoch weiterhin. Er machte sich Sorgen, Lardis könne womöglich zu viel preisgeben. Andererseits musste
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