ENTWEIHT
dich schon verraten.« Über Chungs Gesicht huschte ein Grinsen. »Aber selbst wenn es dir nicht passiert wäre – gute Neuigkeiten verbreiten sich schnell!«
»Ja«, nickte Trask. »Vor allem im E-Dezernat!« Und zu Goodly gewandt fuhr er fort: »Okay, über Szwart wissen wir allerdings bereits Bescheid. Und ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um die Zentrale und jeden darin zu schützen. Also schieß los, wie geht es weiter?«
»Wie gehabt«, entgegnete der Hellseher. »Gestalten in schwarzen Kutten, die dahinschreiten oder vielmehr -gleiten … etwas, das ins Wasser sinkt, ein in der Tiefe verschwindender Lichtfleck … und ein Labyrinth aus Höhlen und Gängen, in denen sich etwas Grauenhaftes aufhält ...«
»Das weiß ich doch schon alles«, sagte Trask. »Was ist daran neu? Sagtest du nicht etwas von Schreien?«
Goodly ließ sich Zeit mit der Antwort und befeuchtete sich erst die Lippen. »Ja, neuerdings haben meine Träume etwas mit Schreien zu tun. Aber es wird dir nicht sehr gefallen, Ben ...«
»Mir gefällt nichts von alldem!«, schnitt Trask ihm das Wort ab. »Also raus damit!«
»... und irgendwie ist es auch widersprüchlich«, fuhr der Hellseher fort, so als wäre er gar nicht unterbrochen worden. »Ich meine, nur weil ich es gesehen habe, heißt das noch lange nicht, dass es unbedingt auch so eintreffen muss, wie ich es sah.«
»Widersprüchlich?« Trask runzelte die Stirn. »Und es muss nicht unbedingt so eintreffen, wie du es sahst?«
»Ganz recht«, erwiderte Goodly, »ja! Denn wenn die Tatsache, dass ich hier auf Krassos bin, mich von Szwart entfernt hat, und er in London ist, warum bin ich dann nicht auch von allen anderen in London … abgeschnitten? Warum sehe ich ihre Zukunft immer noch deutlich vor mir? Liegt es einfach daran, dass ich sie so gut kenne?«
Trask merkte, wie sein Hals trocken wurde. »Dann geht es also eigentlich um unsere Leute zu Hause!?« Und sich gegen die Wahrheit wappnend, fuhr er fort: »Na los, erzähl schon!«
»Ich habe Frauen gesehen«, sagte der Hellseher mit bebender Stimme, »und sie verbrannten, Ben! Sie trugen völlig zerlumpte, schwarze Gewänder, lodernde Flammen umfingen und verzehrten sie. Sie reckten die Arme zum Himmel und ihre Augen strahlten vor Freude und … und … ich weiß nicht recht! Erleichterung womöglich?«
David Chung klappte der Kiefer nach unten. »Vor Freude? Sie verbrannten schreiend und trotzdem waren sie froh und erleichtert?«
Goodly schüttelte den Kopf. »Es ist … nicht leicht zu erklären. Ich verstehe es ja auch nicht besser als ihr. Aber, nein, es waren nicht die brennenden Frauen, die sich die Seele aus dem Leib schrien. Die Schreie stammten von jemand anders, von einer Frau, die abseits stand. Sie schrie – vor lauter Entsetzen im Angesicht von etwas, das nur sie zu sehen vermochte, ich jedoch nicht. Und anstatt nach oben zu blicken, blickte sie nach unten – in einen gähnenden Abgrund, der sich unter ihren Füßen auftat, ein klaffendes, schwarzes Loch, das endlos in die Tiefe zu führen schien ...«
Als Goodly mit aschfahlem Gesicht verstummte, stand Trask auf und ging zu ihm. Trask war ebenso bleich wie der Hellseher, als er ihn bei den Schultern packte und schüttelte. »Bis jetzt wollte ich es nicht wahrhaben«, knurrte er. »Dabei steht es dir ins Gesicht geschrieben, seit ich dir die Tür aufmachte. Wahrscheinlich habe ich schon den ganzen Abend darüber hinweggesehen – seit du aus deinem Nickerchen erwachtest – aber die ganze Zeit über war mir klar, dass etwas nicht stimmt. Und jetzt weiß ich auch, was!«
Dem Hellseher blieb, erschüttert von Trasks furchtbarer Wut, nichts anderes übrig, als still dazusitzen. Schweigend, unfähig, etwas zu sagen, schüttelte er den Kopf und sah aus, als würde er sich am liebsten in ein Mauseloch verkriechen. Dabei war ihm klar, dass es keineswegs seine Schuld war.
»Du hast Millie gesehen, nicht wahr?«, sagte Trask heiser. Die Stimme versagte ihm. »Es war Millie, die schrie – und du weißt, verdammt noch mal, dass es eintreten wird!«
»Ebendies wissen wir nicht, Ben!«, beteuerte der Hellseher, als Trask ihn endlich losließ und sich abwandte. »Das Einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass irgendetwas passieren wird. Aber wie, wann oder weshalb – oder was dabei herauskommen wird, vermögen wir nicht zu sagen.«
Die Ellenbogen auf die Knie und das Gesicht in die Hände gestützt, war Trask auf seinem Bett zusammengesunken.
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