ENTWEIHT
Allerdings ist es nicht bloß eine Abschirmung, sondern auch eine Warnung, und sie lautet: ›So nah und keinen Schritt näher!‹ Und jetzt … und jetzt … was um alles in der Welt …?«
»Was?«, fragte Trask mit eindringlicher Stimme.
»Es ist weg!«, erwiderte Liz. »Ich meine, eben war es noch da, und jetzt … keinerlei Gedankensmog mehr, nichts.«
»Nein«, entgegnete Chung. »Nicht nichts, sondern … etwas anderes. Etwas wie … wie ein warmer, duftender Wind, der vom Kloster herüberweht. Eine sanfte, ruhige Brise, die die Botschaft vermittelt: Dieser Ort ist … dieser Ort ist …«
»... gut!«, führte Liz den Satz für ihn zu Ende. »Rein und unverdorben. Harmlos. Hier herrscht nichts als Güte und Frömmigkeit.« Und sie zuckte allen Ernstes die Achseln, ehe sie fortfuhr: »Was auch sonst? Immerhin handelt es sich um ein Kloster!«
»Eine Lüge!«, rief Trask ihr ins Gedächtnis, und der alte Lidesci fügte hinzu:
» Vavaaara! Du siehst bloß, was sie dich sehen lassen möchte. Alle, bis auf Ben, der sieht nur die Wahrheit.«
»Der andere Turm«, befahl Ben kurz angebunden. »Konzentriert euch auf den Turm direkt am Klippenrand. Aber macht schnell, solange die Sonne noch darauf scheint.« Noch während er dies sagte, krochen bereits die Schatten der hohen Festungsmauern an den Türmen hinauf und hüllten sie allmählich in Düsternis. Die Sonne war mittlerweile nur noch als gelbes Rund über den Hügeln der westlichen Bergkette zu sehen.
Im Gleichklang – Lokalisierer und Telepathin gemeinsam – befolgten Liz und Chung Trasks Anweisungen. »Ich hab’s«, sagte Chung, und Liz:
»Da, dort!«
Ihre Gedankensonden waren miteinander verbunden, die eine durch die jeweils andere verstärkt. Sie sahen zu, wie die Schatten zu den Zinnen des Turmes hinaufkrochen – nein, -jagten – und ihn von seiner goldenen Farbe wieder in das ausgeblichene Gelb uralten Mauerwerks zurückverwandelten.
»Da drin ist es schummrig«, sagte Chung, »und finster, verlassen.«
»Nein, da ist etwas«, entgegnete Liz. »Eine Art Licht ...«
»Vorsichtig!«, mahnte Trask, während seine ESPer weiter durch ihre Ferngläser blickten ...
… und durch ihre Linsen zunächst nur graues Licht sahen, das zu einem düsteren Gelb und schließlich zu einem blutroten Schwall wurde!
Als wären die Ferngläser plötzlich mit Blut gefüllt – genauso kam es ihnen vor – ließen sie sie sinken und wichen wankend von dem Felsbrocken zurück. Ihr Entsetzen unterdrückend, kauerten sie sich nieder, als wollten sie sich verstecken, und in ihren Gedanken hallte, dem Grunzen eines riesenhaften Schweines gleich, dumpf ein einziges Wort oder vielmehr eine Frage wider:
W-W-WAS? … W-WAS? … WAS!?
Dann war es auch schon vorüber – wie abgeschnitten, als sie ihre Sonden zurückzogen – und in der Dämmerung erhob sich ein Wind, der kühlend über die Hügelkuppe strich.
Trask packte Liz und hielt sie fest, während Manolis Chung stützte, dessen Füße auf dem losen Geröll unter ihm wegzurutschen drohten. Denn sie alle hatten etwas von dem gespürt, was die beiden ESPer wahrgenommen hatten.
»Was war das?«, wollte Trask von der in seinen Armen bebenden Liz wissen.
»Er«, antwortete Liz. »Dessen bin ich mir ziemlich sicher. Ich meine, wer sonst würde schon von … von Blut träumen? Wir haben ihn zwar geweckt, aber ich glaube nicht, dass er genügend Zeit hatte, unsere Sonden zu orten. Dass wir ihn gestört haben, hält er wahrscheinlich für so etwas wie einen Albtraum oder schreibt es dem ganz normalen Aufwachen zu. Mein Gott, das hoffe ich wenigstens!«
Chung nickte zustimmend. »Ich glaube, sie hat recht. Mir selbst geht es auch oft so, dass ich einfach aus dem Schlaf schrecke. Genauso fühlte es sich an: Als würde er aus dem Schlaf gerissen und eine eisige Woge von ihm ausgehen, allerdings blutrot, aus gefrorenem Blut. Mir wurde eiskalt dabei!«
In ebendiesem Moment gab Malinaris Kampfhandschuh auf dem Felsblock ein metallisches Geräusch von sich und sprang scheppernd, wie ein grässliches Insekt, gut zwanzig Zentimeter in die Luft. Einen Augenblick später fiel er auf den Marmorschotter der steinigen Hügelkuppe und blieb, die fürchterlichen Klingen und Haken voll ausgefahren, reglos liegen.
Erschüttert blickten die acht einander an und atmeten langsam wieder aus.
»Er ist aus Metall«, piepste Ian Goodly. »Als die Sonne unterging und der Wind aufkam, kühlte es ab, zog sich zusammen und irgendein
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