ENTWEIHT
Widerspenstig, gewiss, zischte Korath. Dann verstummte er …
Jake fand ein kleines Hotel, checkte unter falschem Namen ein und zahlte in bar für drei Nächte im Voraus. Er wusste nicht, ob er so lange brauchen würde, aber besser, man war vorbereitet.
Er zog sich in sein Zimmer zurück, nahm eine Dusche, legte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Händen aufs Bett, schloss Korath fürs Erste aus seinem Geist aus und versuchte nachzudenken. Dies war gar nicht so einfach, weil vor seinem inneren Auge ständig die Bilder zweier Frauen auftauchten. Einmal war da Natascha – allerdings verblasste ihr Bild nun rasch und löste sich auf, so wie sie im Tod dahingeschwunden war – zum andern war da Liz, die immer mehr an Kontur gewann.
Liz, die niedliche, kleine Liz … allerdings keineswegs mehr so niedlich, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte und ein Ziel erreichen wollte. Dann war sie wild entschlossen, mutig, mitunter fast derb zu nennen. Aber immer noch langbeinig und sexy, ja ...
Mit einem Mal wurde Jake klar, dass seine Gedanken gar nicht abschweiften, sondern dass Liz ein Teil des ganzen Problems war. Ob es nun funktionieren würde oder nicht, mittlerweile betrachtete er Liz als wesentlichen Bestandteil seiner Zukunft. Vorausgesetzt er hatte eine.
Selbstverständlich könnte er – vielleicht immer noch – eine Zukunft haben, und zwar beim E-Dezernat, hätte er nicht alle Chancen vermasselt, indem er sich abgesetzt hatte, noch dazu in einem entscheidenden Augenblick. Er rief sich ins Gedächtnis, was Trask ihm gesagt hatte: dass das E-Dezernat, falls sie ihm trauen konnten, seine Heimat, seine Familie, ja, alles für ihn sein würde und dass sie sich mit jeder Faser ihres Daseins vor ihn stellen würden. Doch er entsann sich auch der Warnung, die Trask ihm mitgegeben hatte: Sollte er ein falsches Spiel treiben, seine eigenen Pläne voranstellen und abhauen, dann wäre es aus zwischen ihnen.
Nur dass Jake gar nicht den Eindruck hatte, abgehauen zu sein, eher … was? War er weggerufen worden? Abgelenkt? Oder weggelockt von etwas – jemandem – in seinem Innern? Er hatte noch etwas zu erledigen, ja, was jemand anders begonnen hatte.
Jemand wie der Necroscope Harry Keogh womöglich?
Doch sollte dies der Fall sein, weshalb hatte Harry es ihm dann nicht erklärt oder versucht, es ihm mitzuteilen? Zugegeben, der Necroscope hatte eingeräumt, dass er »nicht ganz da« sei – dass sein Fahrstuhl nicht in jedem Stockwerk einen Stopp einlegte und sein Wiedergänger ziemlich verwässert war, um auf unterschiedlichen, weit auseinander liegenden Ebenen zu Werke zu gehen – aber hätte er nicht zumindest wissen müssen, weshalb er überhaupt hier war?
Nun, welches Ziel auch immer der Necroscope verfolgen mochte, indem er ausgerechnet ihn zu seinem Instrument erkoren und ihm all die Probleme, die damit einhergingen, aufgebürdet hatte, Jake Cutter hatte selber ein Anliegen, das er verfolgte. Und das würde sich kaum von allein erledigen, indem er hier auf diesem Bett rumlag. Oder war dieser innere Drang – dieses Ziehen in seinen Eingeweiden, dieser zwanghafte Drang, etwas gegen Castellano zu unternehmen – war dies lediglich eine weitere Facette jener unbekannten Macht, die ihn vorwärtstrieb? Verdammt! Es war wie ein immer enger werdender Kreis, der einen in den Wahnsinn trieb und ihn früher oder später mit dem Kopf voran in seinen eigenen Hintern rammen würde.
Zur Hölle damit!
Er sprang auf, ging in die Lobby hinunter und erstand eine Umgebungskarte: Paris mit all seinen Straßen und der Landschaft ringsum in einem Radius von achtzig Kilometern. Wieder in seinem Zimmer vertiefte er sich darin. Er erinnerte sich an eine Fabrik auf dem Weg ins Departement Côte d’Or und nach Dijon, die Strecke, die seine Mutter früher immer genommen hatte, wenn sie mit ihm nach Paris gefahren war, und die Karte rief ihm mehrere Landmarken ins Gedächtnis. Jake war schon einmal dort gewesen, also kannte er die Koordinaten.
Im Hotelzimmer ließ er seine Abschirmung sinken, lud Korath ein und erklärte ihm: »Wir haben zu tun!«
Anschließend machten sie sich, nachdem Jake im Souvenirladen des Hotels eine robuste Sporttasche gekauft hatte, auf den Weg, indem sie eine Kabine der Herrentoilette als ungestörtes Sprungbrett ins Möbiuskontinuum benutzten. Jake konnte es zwar nicht wissen, doch seinerzeit hatte auch der ursprüngliche Necroscope derartige Orte als Absprungbasis genutzt.
Aber
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