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ENTWEIHT

ENTWEIHT

Titel: ENTWEIHT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Hören, Tasten und nun auch Riechen. Vier Sinne. Millie konnte nichts dafür, aber sie dachte: Gott bewahre, bloß nicht auch noch Schmecken! Der Geruchssinn war der zuletzt gereizte Sinn und sie wäre liebend gern ohne ihn ausgekommen. Denn der Gestank, der von dem einstigen Kanalreiniger Wally herüberwehte, drehte einem den Magen um. Er stank nach Kot, nach Londons Kanalisation bei Hochbetrieb. Selbst aus dem Mund, noch auf eine Entfernung von gut zwei Metern, sodass sie im wahrsten Sinne des Wortes das Gesicht abwenden musste.
    Als hätte er ihre Gedanken gelesen, wich Wally einen Schritt zurück. »Ich seh wohl nich’ so toll aus, denke ich«, sagte er, »unn’ wahrscheinlich rieche ich auch 'n bisschen – aber das liegt an der Umgebung. Das passiert eben mit einem, wenn man hierherkommt. Die dreckigen Wege und die ganzen Winkel, durch die man schlüpfen muss. Aber, hey, so gut riechst du jetzt auch wieder nich’. Hübsch bist du allerdings immer noch. Und bestimmt ... fühlst du dich auch gut an.«
    Fühlen: der fünfte Sinn. Wally schob sich, die freie Hand halb erhoben, einige Zentimeter auf dem Sims voran. Mit jeder Sekunde, die verstrich, vermochte Millie besser zu sehen. Zweifellos trug die Laterne ihren Teil dazu bei, aber es lag auch daran, dass sie es musste. Nun, aus nächster Nähe, sah sie das fleckige, von Ekzemen entstellte Gesicht des Zwerges, die rosig-blanke, schorfige Kopfhaut, in der ganze Haarbüschel fehlten, und mit einem Mal büßte er die Aura des Bedrohlichen ein.
    »Du … du bist ja krank«, sagte sie, ohne jede Zweideutigkeit, doch sofort war ihr klar, dass man dies auch anders auffassen konnte. »Ich meine, du siehst krank aus. Und ich wünschte, du würdest mich nicht so anstarren.«
    »Krank?«, wiederholte er, indem er seine Hand wieder sinken ließ. »Krank? Das wird wohl 'ne Hepatitis sein. Die hab’n mir gesagt, dass ich sie vielleicht übertragen könnte. Es könnte auch die Nagerpest sein, die kriegt man von Rattenpisse. Das iss’ nun mal das Risiko, wenn man an so 'nem Ort wie hier lebt. Na ja, er hat mir aufgetragen, dich hier 'rumzuführen und dir alles – sein Werk – zu zeigen, während er den Abzugsschacht überprüft. Schaffst du das? Kannst du laufen? Ach, übrigens, ich heiße Wally.«
    Millie ignorierte die Hand, die Wally ihr abermals entgegenstreckte, und erhob sich. »He? Meinen Sie etwa Lord Szwart? Und falls ja, wissen Sie überhaupt, was Szwart eigentlich ist? Ist Ihnen klar, dass er ein Vampir ist, der Ihnen das Blut aussaugen wird – sofern er es nicht schon getan hat?«
    »Eh? Eh?«, begann Wally. Er blickte sich rasch um, fuhr sich mit der Zunge über die mit einem Mal trockenen Lippen und drehte den Docht seiner Lampe höher. »Ein Vampir? Ein Monster? Oh, das weiß ich doch! Ich weiß, dass er einfach so im Dunkeln auftauchen kann, unn’ keiner hört oder sieht ihn. Unn’ ich weiß, wenn ich zu sehr an irgendwas denke, dann weiß er auch, was ich denke! Eh? Er kann mit mir sprechen, auch wenn er kilometerweit weg iss’, bloß ich krieg’ nich’ alles mit unn’ werd’ nich’ schlau daraus. Aber ich weiß, was ich tun soll, okay, unn’ das tu ich immer sofort. Unn’ du wirst das auch tun, wenn du 'n bisschen was in der Birne hast.«
    Millie nickte. »Dann weißt du ja auch, was du nicht tun sollst? Und dass er nicht will, dass mir irgendetwas zustößt?«
    Wally warf ihr einen verschlagenen Blick zu, reichte ihr die Laterne und machte Anstalten, sich abzuwenden … doch dann hielt er inne und sagte über seine missgestaltete Schulter:
    »Das weiß ich auch. Aber 's gibt zustoßen unn’ zustoßen. Ich meine, wichtig iss’ doch, dass man 'n bisschen menschliche Gesellschaft hat, oder? Unn’ es iss’ ja nich’ so, dass 'n bisschen Anfassen gleich weh tut, oder? Anfassen, unn’ vielleicht noch 'n bisschen drücken? Ich meine, wir sinn’ hier ziemlich tief unten, meine Beste, unn’ du kommst hier eh nich’ wieder raus, außer er lässt dich. Aber dann wirst du ihm gehören unn’ immer wieder zurückkommen zu ihm … und mir. Ich meine, wichtig iss’ doch, dass man 'n bisschen menschliche Gesellschaft hat, oder?«
    Millie konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. »Dreh doch das Licht noch ein bisschen höher, damit ich besser sehen kann. Ich möchte nicht hinfallen.«
    »Das Licht höher drehen?«, sagte Wally. »Na ja, er iss’ ja nich’ da, da kann ich das schon machen. Er mag‘s nämlich nich’, wenn‘s zu hell iss’. Wenn

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