ENTWEIHT
dem das Fleisch offen zubereitet wurde. Die merkwürdigen Arbeitszeiten der »Leute von oben« – und die merkwürdigen Zeiten, zu denen sie hin und wieder zum Essen kamen – bereiteten der Küche mitunter Schwierigkeiten. So wie heute Abend. Es war bereits spät, und in der Küche hatte den ganzen Tag über Betrieb geherrscht.
Trask und Millie wählten einen Tisch in einer vom Personal des E-Dezernats bevorzugten Ecke, einer leicht erhöhten Nische, umgeben von kleinen Palmen in halbhohen Fässern und einem von unechten Reben und Bougainvilleaen durchzogenen Spalier aus lackiertem Pinienholz. Abseits von den übrigen Gästen ließ sich hier ungestört übers Geschäft reden. Um wirklich auf Nummer sicher zu gehen, ging Jimmy Harvey oder einer der anderen Techniker hin und wieder hier essen, um die Nische auf Wanzen zu überprüfen ... auf deren elektronische Variante zumindest. Bislang hatten sie noch keine entdeckt.
Trask rückte seiner Begleiterin den Stuhl zurecht und nahm dann selbst Platz. Anschließend langte er nach einem Krug und schenkte Wasser in zwei Gläser ein. Am liebsten hätte er ihre Unterhaltung sofort fortgesetzt, entschloss sich jedoch dazu, so lange zu warten, bis sie bestellt hatten. Der kurze Weg zum Aufzug und die Fahrt nach unten hatten ihm wieder einen klaren Kopf beschert und ihm Gelegenheit gegeben, über Millies Informationen nachzudenken; er war wieder in der Lage, sich zu konzentrieren, und mit jeder Sekunde wich die eher mentale als physische Müdigkeit weiter von ihm.
Darum fragte er sich, diesmal laut: »Mein Büro, manchmal komme ich mir darin regelrecht von der Welt abgeschnitten vor. Was glaubst du, bilde ich mir das nur ein oder ist es mit den Jahren tatsächlich kleiner geworden?«
»Die ganze Welt ist kleiner geworden«, entgegnete Millie. »Vielleicht ein Anflug von Platzangst?«
Trask schüttelte den Kopf. »Ich war unten im Perchorsk Komplex, unter dem Ural, dort, wo das russische Tor sich befindet. Ich weiß, was Platzangst ist! Solltest du je Gelegenheit bekommen, jenen Ort aufzusuchen – und ich hoffe, dass es nie so weit kommt – dann wirst du verstehen, was ich meine. Nein, es ist keine Platzangst, jedenfalls nichts Physisches. Allerdings habe ich das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas immer näher auf mich ... beziehungsweise uns ... zurückt.« Unwillkürlich musste er seufzen, und das sagte eine Menge.
»Du trägst eine große Verantwortung«, sagte sie. »Du stehst unter Stress und hast keine Möglichkeit, den Druck loszuwerden.«
»Da ich ja selber so etwas wie ein Empath bin«, entgegnete er, »sollte man annehmen, ich müsste in der Lage sein, von selbst darauf zu kommen.«
»Es zu wissen, ist eine Sache«, erwiderte sie, »aber es auch zuzugeben, eine völlig andere. Hat man es sich erst einmal eingestanden, kann man daran gehen, etwas dagegen zu unternehmen. Es soll durchaus Möglichkeiten geben, Dampf abzulassen, habe ich mir sagen lassen.«
Er blickte sie an, sah ihr direkt in die Augen, und sagte: »Du warst nie verheiratet, Millie, nicht wahr?« Nun war es an ihr, zu seufzen. »Das ist eine der Möglichkeiten«, sagte sie. Doch dann fuhr sie fort: »Nein, nie. Aber du kennst mich doch schon beinahe so lange wie ich mich selber, das weißt du doch. Und du weißt auch, weshalb.«
Er nickte. »Ja, natürlich, unsere sogenannten ›Talente‹. Ziemlich vielen von uns geht es so. Ian Goodly, weil er nicht im Voraus wissen möchte, wie die Dinge sich entwickeln – zwischen ihm und einer Frau, meine ich –, und er würde es mit Sicherheit nicht wissen wollen, wenn ihr irgendeine Gefahr droht und er nichts dagegen unternehmen kann! Die Zukunft, wie er ja nicht müde wird uns zu versichern, ist eine ziemlich hinterhältige Angelegenheit.«
»Anderer Leute Gedanken auch«, sagte Millie. »Ich bin mit Männern ausgegangen, hatte Rendezvous, und hinter ihrem Lächeln war das Einzige, woran sie dachten, wie viel mein Essen und der Wein kostete und ob ihre Investition sich wohl bezahlt machen würde. Ich habe mit Männern geschlafen – oh ja, mit einigen – aber das Einzige, worum es ihnen ging, war die Größe ihres Egos.«
»Nur des Egos?«
Millie zuckte die Achseln. »Das auch«, sagte sie. »Anscheinend geht das männliche Ego mit dem Du-Weißt-Schon-Was Hand in Hand, und das meine ich keineswegs zweideutig! Oh ja, ich weiß: Würde ich ihre Gedanken nicht lesen, wäre vieles einfacher. Aber wenn ich einen gewissen Ausdruck in den Augen sehe
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