ENTWEIHT
wenig wie das Gesundheitsministerium und dessen untergeordnete Dienststelle, das der Stadtverwaltung der City of London unterstehende Amt für Stadtreinigung. Denn Wally Fovargue stand auf einer schwarzen Liste. Nie wieder würde er in den finsteren, feuchten Eingeweiden der Londoner Unterwelt arbeiten.
Arbeiten nein, das nicht. Aber da Wally nun einmal Wally war – so, wie er gepolt war; außerdem war er sein Leben lang schon immer ein Flusher gewesen – hatte er nicht vor, von dort wegzugehen. Wohin auch? Die Kanalisation mit ihren unterirdischen Gängen war wie für ihn geschaffen. Zum einen gab es dort (bis auf die übrigen Flusher) keinerlei Menschen. Und wo Wally sich herumtrieb, kam kein Flusher hin. Zudem wohnten sie ganz gewiss nicht hier unten.
Wally hatte es an der Oberfläche versucht. Aber da gefiel es ihm nicht; er hegte einen ausgesprochenen Widerwillen gegen die allwöchentlichen Ausflüge in die Stadt, um seine Arbeitslosenunterstützung abzuholen. Denn für die Möchtegern-Beamten, die die Stütze auszahlten, war er ja doch nur irgendein schmuddeliger Penner, und nicht bloß ein Penner, sondern auch noch ein Freak. Eine stummelbeinige, langarmige, bucklige Missgeburt. Und manchmal bekam Wally in dem schäbigen, halbhoch gefliesten Korridor, der aussah wie der Eingang zu einem Pissoir, das Geflüster der anderen heruntergekommenen Gestalten mit, die in der Schlange standen und darauf warteten, an den stickigen, besenschrankgroßen, von verstärktem Einweg-Glas umrahmten Auszahl-Schalter vorgelassen zu werden.
»Das ist der Freak«, flüsterten sie. »Kein Wunder, dass der Kerl keinen Job hat! Gott, wer stellt schon einen ein, der so aussieht!« Und Wally hegte nicht den geringsten Zweifel, dass die Schalterbeamten, die ihm mit unbewegtem Gesicht und ausdruckslosem Blick das Geld auszahlten, ohne ihn je dabei zu berühren, dasselbe dachten. Ein kleiner Fehler von Mutter Natur, unser Wally. Andererseits hatten sie niemals mit ihm gestritten oder versucht, ihm einen Job aufzudrängen, den er nicht wollte. Oh, ja – natürlich war ihnen klar, dass er keine Stelle kriegen würde und auch sie keine für ihn finden konnten.
Er brauchte sie doch bloß anzusehen, sie plötzlich anzublicken, wenn sie nicht aufpassten, dann stand es ihnen ins Gesicht geschrieben. An ihren kalten Augen und den gerümpften Nasen konnte er es ablesen: Keiner, der sie noch alle hat, wird einen so abartig aussehenden Kerl wie den da einstellen! Das einzig Gute daran war, dass sie ihm auf der Stelle sein Geld auszahlten, damit sie ihn so schnell wie möglich wieder loswurden. Nie musste er erklären, weshalb er sich nicht um einen Job bemüht hatte, oder wie es kam, dass er noch immer »ohne festen Wohnsitz« war.
Es war zwar nicht viel Geld, aber es war okay; Wally konnte gerade so davon leben. Das war das Schöne daran, wenn man kein Dach über dem Kopf und damit auch keine Hypothek abzuzahlen hatte. Dabei hatte Wally in Wirklichkeit Hunderte von Dächern über dem Kopf, ja, eine ganze Stadt. Westminster, die Houses of Parliament, die Bond Street, Mayfair, die Bank von England, das Ritz und sogar den Buckingham Palast! Einige ziemlich erstklassige Wohnsitze da oben, und auf den Scheißhäusern, die Wallys unterirdisches Reich bewässerten, thronten ein paar wirklich hochkarätige Hintern.
Wally verschwendete keine Zeit, solange er an der Oberfläche war. Er war gezwungen, sich wegen des Geldes dorthin zu begeben, aber sobald er es erst einmal erhalten hatte – in der Regel donnerstagmorgens um kurz nach neun, denn er war immer bemüht, der Erste in der Schlange zu sein – machte er sich sofort zum nächsten Supermarkt auf. Nahrungsmittel standen selbstverständlich ganz oben auf seiner Liste, dann ein Sechserpack Bier (an Sonntagen trank er nicht), Kerzen, Batterien, eine Zeitung (er hielt sich gern auf dem Laufenden) und seine Lieblingszeitschriften … Magazine mit nackten Mädchen, ja.
Wally zog stets seine besten Kleider an – was so gar nicht zu seiner äußeren Erscheinung passen wollte. Hätte er ausgesehen wie ein Landstreicher, hätte niemand ihn eines zweiten Blickes gewürdigt. Doch anständig angezogen wirkte er irgendwie deplatziert und die Leute starrten ihn an wie einen verkleideten Orang-Utan. Und dies machte ihm die Oberwelt unerträglich – die Tatsache, dass die Menschen ihn anstarrten und oftmals über ihn lachten, um dann verlegen den Blick abzuwenden.
Er war – zumindest wenn man Darwin folgte
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