ENTWEIHT
es, runter in die U-Bahn. Na ja, eigentlich hab’ ich damit nur ein Zuhause mit dem anderen vertauscht, hab’ schließlich so lange da unten gearbeitet ...«
Und auch für Wally war es so, als käme er nach Hause. Ja, seit über einem Jahr, seit sein Vermieter ihn rausgeworfen hatte, weil er den anderen Mietern angeblich »Angst« einjagte, war dies das einzige Zuhause, das er kannte. Angst einjagen! Wally hatte sie kaum je einmal angesehen! Aber anscheinend genügte das schon.
Zum Teufel damit! Hier unten gab es keine anderen »Mieter«, die ständig herumplärrten und irgendwelche Märchen erzählten. Bloß Ratten, Frösche, Aale, Moskitos und ein paar kleine Fledermauskolonien. Und auch keinen schmierigen Vermieter, der immer nur Geld wollte. Was die Kerle da oben anging – zur Hölle mit ihnen!
Wally erklomm, was wohl als Bahnsteig geplant gewesen war, wäre die U-Bahn-Linie mitsamt ihrem Bahnhof je fertiggestellt worden. Nun befand er sich im Mittelpunkt eines strahlenförmig von hier ausgehenden Tunnelsystems. Keiner davon führte sehr weit. Einer der Tunnel war nach wie vor mit unverwüstlichen Armee-Feldbetten ausgestattet, als Wally ihn entdeckte. Eines hatte Wally intakt gelassen, die übrigen hatte er zerlegt und übereinander gestapelt, um mehr Platz zu schaffen.
Schon vor geraumer Zeit hatte er die nächste Wasserhauptleitung angezapft, sodass ihm mehr als genug Wasser zum Trinken und Waschen zur Verfügung stand; das Gleiche galt für das Gas zum Kochen. Auch was das anging, gab es keinerlei Probleme. Lediglich vom Strom hielt er sich fern; es gab zwar Elektrizität hier unten, aber die mied er. Er hegte nämlich eine ausgesprochene Abneigung dagegen, an stromführenden Leitungen herumzupfuschen, überdies hatte er Gerüchte gehört, dass jede unbefugte Nutzung zurückverfolgt werden könne. Außerdem waren seine Augen recht gut an die gedämpfte Beleuchtung angepasst; ein paar Kerzen oder der schwache Strahl einer batteriebetriebenen Taschenlampe genügten ihm völlig. Einen Fernseher brauchte er nicht, nein, aber er besaß ein Kurbelradio. Die Antenne bestand aus einem achthundert Meter langen Draht, dessen anderes Ende er am Blitzableiter eines alten Kirchturmes in der Nähe von Moorgate befestigt hatte. Es hatte sich als verdammt schwierig erwiesen, aber die Sache war es wert gewesen. Der Empfang war einfach wunderbar.
Fett zum Speisenzubereiten? Kein Problem. Nacht für Nacht schütteten die Restaurants der City Tausende von Gallonen weg. Das durften sie zwar nicht, aber sie taten es trotzdem. Es war der Albtraum eines jeden Flushers, das Zeug gleich tonnenweise von den Wänden zu kratzen und aus den Rohren zu schaufeln, ehe es fest wurde und zu gigantischen Kerzen verhärtete, sodass nichts mehr ging. Ha! Und dann wunderten sie sich, weshalb die Rattenpopulation so zunahm!
Wally wusste, wo es einen regelrechten Schlot voll von dem Zeug gab. Die äußeren Schichten waren ranzig, an denen konnten die Ratten knabbern, so viel sie wollten. Aber ganz tief drin war es noch ziemlich sauber. Es war wohl so ähnlich wie beim Käse, dachte Wally sich: Außen wurde es hart und schal, aber im Innern blieb es weich. Er hatte einen langstieligen Zuckerlöffel, mit dem er tief hineinbohren konnte. Und es roch einfach wunderbar, nach so ungefähr allem, was die da oben zubereiteten. Seine Würstchen mit Bohnen konnten jede nur erdenkliche Geschmacksrichtung annehmen …
Was die Toiletten anging: in so gut wie jede Richtung bloß drei Minuten; weniger, wenn man nicht wählerisch war. Und Wally war nun wirklich nicht pingelig. Die Temperatur? Oben mochte Winter oder Sommer sein, hier unten blieb es stets konstant mild; in der Regel genügten zwei Decken.
Er war also wieder zu Hause in seinen vier Wänden; blieb nur noch, den Harem aufzusuchen, die Ladys wissen zu lassen, dass er wieder da war, und ihnen ein bisschen vorzujammern, wie schlecht es ihm »oben« ergangen war.
Seine Ladys: An den Wänden des an sein Schlafzimmer grenzenden Tunnels hatte er eine ganze Galerie davon. Eigentlich hätte er sie ja lieber im Schlafzimmer gehabt, aber das hätte ihn vielleicht doch zu sehr abgelenkt. Es gab eine Zeit zum Schlafen und eine Zeit für das andere – darum der Harem. Und nun war es Zeit für das andere.
Schon den ganzen Morgen über hatte Wally sich auf diesen Augenblick gefreut, und nun wuchs seine Erregung, während er sich an seinen Tisch (ein altes Klapptischchen) setzte und seine Zeitschriften
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