Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
war, aber ich konnte es nicht an etwas Äußerlichem festmachen, auch wenn er zugegebener Maßen besser aussah als jeder Mensch, den ich je gesehen hatte, so war es nicht sein Aussehen, das ihn unwirklich erscheinen ließ. Es war viel mehr eine Energie, die ihn zu umgeben schien und die mir jetzt umso mehr ins Auge stach, beziehungsweise die ich jetzt noch stärker wahrnehmen konnte, nachdem er behauptet hatte, nicht menschlich zu sein. Doch die Vorstellung der Existenz eines menschenfremden Wesens irritierte mich zu sehr, als dass ich darauf jetzt näher eingehen wollte. Ich versuchte mich auf seine Worte zu konzentrieren. „Schöpferische Macht der Gedanken? Soll das heißen, jeder Mensch könnte die Gedanken anderer beeinflussen?“
Über Davids Gesicht flog ein amüsiertes Lächeln. „Theoretisch, ja. Aber es geht vielmehr um die Nutzung der Kraft der eigenen Gedanken für das Gestalten des eigenen Lebens. Die Menschen könnten dieses Instrument für sich nutzen, zur Realisierung ihrer Träume und Gestaltung ihrer eigenen Realität. Sie wären damit unabhängig von anderen, von dem „Außen“, das die meisten Menschen heute als das große Übel bezeichnen, das sie angeblich dazu zwingt, Dinge zu tun, die sie eigentlich gar nicht tun wollen. Es gibt diesen Zwang des Außen nicht. Er ist eine Illusion. Eine Illusion, mit der sich die Menschen in ihrer Selbstverwirklichung blockieren. Durch ihr fehlendes Vertrauen in ihre eigene Macht erkennen sie diese Blockade nicht, sondern geben sich ihr hin, geben ihre eigene Verantwortung und Schöpferkraft ab und nehmen sich dadurch selbst das größte Geschenk ihrer Schöpfung. Ihren freien Willen.“
„Das klingt wie aus einem Esoterikbuch rezitiert“, entschlüpfte es mir unfreiwillig.
David schien nicht beleidigt. Er nickte sogar zustimmend. „Ja, es gibt Menschen auf der Erde, die über dieses alte Wissen Bescheid wissen. Es sind nur sehr wenige, weswegen der Rest der Menschheit sie als Spinner abtut. Aber die meisten esoterischen Bücher sind weit näher an der Wahrheit dran, als die hochwissenschaftlichen Thesen der Menschheit.“
„Bist du Angehöriger einer Sekte?“, fragte ich ihn misstrauisch, weil mir das alles zu verworren vorkam.
David lachte rau auf. „Nein. Wir betreiben keinen rituellen Kult. Aber wir haben einen Rat, der die Regeln unseres Volkes vertritt und für Recht und Ordnung sorgt.“
„Aha“, mein Blick musste arg skeptisch gewesen sein, denn Davids Miene wurde wieder ernst.
„Wir sind keine Sekte, Josephine. Wir sind ein eigenes Volk. Wir bleiben unter uns. Wir leben in Harmonie mit den Menschen, haben uns ihrer Lebensweise bis zu einem gewissen Grad angepasst.“
„Dann lockt ihr keine neuen Mitglieder an?“
Davids Blick war nun missbilligend. „Nein. Wie gesagt, wir sind ein Volk und in ein solches wird man geboren. Man kann nicht freiwillig beitreten.“
„Aha. Ein Volk, also.“ Ich wiederholte das, weil es mir zu unglaubwürdig vorkam und ich nicht wusste, was ich sonst hätte sagen sollen. Wenn nicht David es gewesen wäre, der mir so ernst davon berichtet hätte, dann wäre ich mir echt veräppelt vorgekommen, doch David war niemand, der über so etwas Witze gemacht hätte, da war ich mir ziemlich sicher. Dennoch blieb ich verständlicherweise misstrauisch. „Was unterscheidet denn dein Volk von den üblichen Menschen ?“
David sah mir meine Zweifel bestimmt an, doch er blieb gelassen. „Wie gesagt, wir sind uns der Macht der Gedanken bewusst und wissen , sie zu nutzen. Die Gedankenkraft ist sozusagen unsere Energie, von der wir leben und mit der wir unser Leben gestalten. Sie ist unser Lebenselixier und deswegen haben wir auch die Fähigkeit, in die Gedankenwelt eines jeden Menschen einzudringen, darin zu lesen und sie zu beeinflussen.“
Mir wurde mulmig zumute. „Und was hat das Ganze mit mir zu tun?“
David atmete schwer aus. „Nun, das war nur ein Teil der Geschichte.“
Ich sah ihn unsicher an, weil ich nicht wusste, ob ich diesen anderen Part überhaupt noch hören wollte. Nach dem Märchen, das er mir eben aufzutischen versucht hatte. Doch David ließ mir keine Wahl.
„Erinnerst du dich noch an unsere zweite Begegnung, im Museum? Als wir vor diesem David-Portrait standen?“ Da er mich fragend ansah, nickte ich zögerlich. „Ich sagte dir damals, dass es immer zwei Seiten einer Geschichte gibt, so wie eine Münze immer zwei Seiten hat. Auch in meiner Geschichte gibt es eine zweite Seite.“ Er
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