Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
und mein Blick wanderte unweigerlich an seinem Arm entlang zu seiner nackten Brust direkt vor mir. Ich bemerkte, wie Davids Muskeln sich anspannten und er augenblicklich meinen Arm losließ.
„Ich … ziehe mir schnell was über und dann mache ich uns Tee.“ Seine Stimme klang gepresst. Ich sah ihm ins Gesicht und bemerkte, dass seine Augen seltsam aufblitz ten. Er wirkte plötzlich irritiert. Unsicher. Fast als würde er sich für seine Nacktheit schämen. Was surreal war, weil David bestimmt der letzte war, der sich für seinen Körper schämte.
Doch er wich meinem Blick aus und machte ein paar Schritte rückwärts von mir weg. „ Geh doch schon mal ins Wohnzimmer. Ich komme gleich.“
Seine Unsicherheit verblüffte mich. „Ich ... ähm ... ich würde lieber in dein Lesezimmer gehen. Da fühle ich mich wohler“, erwiderte ich, obwohl ich mich eigentlich überhaupt nicht mit ihm unterhalten wollte, doch diese Situation hier war grotesk und ich wollte sie nur noch beenden.
Über Davids Gesicht huschte ein Lächeln. „Das ist auch mein Lieblingszimmer.“ Sekundenlang betrachtete er mich lächelnd, bis er sich ruckartig umdrehte und in ein Zimmer am anderen Ende des Gangs verschwand.
Ich sah ihm verwirrt hinterher und versuchte, die seltsamen Gefühlswallungen in meinem Körper in den Griff zu bekommen. Sein vollkommener nackter Oberkörper schwebte immer noch vor meinem geistigen Auge und ich musste vehement den Kopf schütteln, um das Bild loszuwerden. Was sollte das denn jetzt? Das war definitiv das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, Faszinationen über Davids Oberkörper!
Seufzend legte ich meine Tasche ab und ging langsam auf die Tür zu, hinter der ich Davids private Bibliothek vermutete.
Ich lag richtig. Als ich die Tür aufmachte schlug mir der Geruch von Büchern entgegen , der mich augenblicklich beruhigte. Erleichtert trat ich in den Raum hinein, ohne das Licht anzuschalten. Durch die Tür kam genug Licht vom Gang herein, um das Zimmer sanft zu beleuchten.
Ich ging zu dem großen Bücherregal an der rechten Wand und strich leicht an den Bücherrücken entlang. Die Berührung gab mir Kraft. Es holte die Wirklichkeit in mein Leben zurück. Ein Ort, an dem es Bücher gab, war ein realer Ort, da war ich mir sicher. Bücher hatten mir immer schon Stabilität und Sicherheit gegeben. Ich hatte mich mein ganzes Leben lang schon an Büchern festgehalten. Ich fand in ihnen alles, was ich brauchte. Vertrauen, Zuversicht, Verständnis. Für jede Lebenslage gab es ein passendes Buch. Geschichten lieferten Trost, beantworteten Fragen, gaben Anregungen. Bücher gaben mir die Antwort auf alles. War nur die Frage, ob es zu dem, was ich gerade durchlebte, auch ein passendes Buch gab.
David erschien in der Tür, komplett angezogen mit einer Jeans und einem T-Shirt und einem Tablett in der Hand , auf dem zwei Tassen und eine Teekanne standen. Es war ein ungewöhnlicher Anblick, ihn in Jeans und T-Shirt zu sehen. Er wirkte ganz anders damit. Normaler. Nicht mehr ganz so distanziert.
Er trug das Tablett zu dem kleinen Couchtisch neben der Sitzecke und stellte alles darauf ab. Dann ging er zu einer Leselampe und machte sie an, dimmte sie aber auf eine schwache, angenehme Beleuchtung. Er schloss die Tür des Zimmers und es war, als hätte er damit diese unwirkliche Welt, die da draußen auf mich wartete, ausgeschlossen. Ich fühlte mich wie in einer Oase, wie auf einer Insel. Einer Insel, auf der ich mich sicher fühlte. Trotz Davids Anwesenheit. Und ich wusste, das lag an den vielen Büchern, die mich umgaben.
Ich beobachtete, wie David sich in einen Sessel setzte, sich entspannt zurücklehnte und mich auffordernd ansah, als hätte ich ihn um diese Unterredung gebeten.
Seltsamerweise ergriff ich tatsächlich das Wort. „Erklär mir noch mal, wieso du glaubst, dass ich das gesuchte … Mischwesen bin?“, es fiel mir noch schwer, mich selbst als ein abartiges Wesen zu bezeichnen. Als menschenfremd. Auch wenn ich mich die letzte Zeit unmenschlich gefühlt hatte – es tatsächlich zu sein, war etwas anderes. Ich blieb am Bücherregal stehen, nahm die Sicherheit, die es mir bot, als schützenden Halt in meinem Rücken wahr und sah nun meinerseits David auffordernd an.
„Es hätte mir schon viel früher auffallen sollen. Du hast mich von Anfang an irritiert. Dass du so abweisend auf mich reagiert hast, war der erste Hinweis.“ David fuhr sich nachdenklich über sein inzwischen leicht stoppeliges Kinn.
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