Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
meiner Schwester stehen und sah mich zitternd um.
Niemand war hinter mir zu sehen oder zu hören. Es herrschte absolute Stille auf der Straße, die ansonsten um diese Zeit durchaus belebt war. Schließlich war es erst kurz nach neun Uhr. Normalerweise waren um diese Zeit immer noch eine Menge Leute unterwegs, doch heute schien alles wie ausgestorben zu sein.
Schnell tippte ich den Code der Eingangstür ein, schlüpfte in das Haus und schloss hinter mir mit Wucht die Tür. Völlig erschöpft und mit wild klopfendem Herzen lehnte ich mich dagegen und lauschte einen Moment lang meinem stoßweisen Atem und meinem rasenden Pulsschlag. Was war das denn gewesen?
Da ich mich immer noch unsicher fühlte, in dem engen, schwach beleuchteten Gang des großen Wohnhauses, stieg ich m it zittrigen Füßen langsam die Treppe zu Mariannes Wohnung hinauf. Bevor ich die Wohnungstür aufschloss, atmete ich ein paar Mal tief ein und aus. Ich wollte nicht, dass Marianne etwas bemerkte. Ich wusste nicht warum, aber ich wollte nicht darüber sprechen. Ich musste erst selbst begreifen, was geschehen war. Vorsichtig öffnete ich die Tür und schloss sie leise wieder.
Marianne saß, so wie meistens unter der Woche, vor dem Fernseher auf dem Sofa und sah sich irgendeine nervtötende US-Serie an. Sie winkte nur müde auf mein schlaffes „Salut“ und ich konnte unbehelligt in mein Zimmer verschwinden.
Erschöpft ließ ich mich auf meine Matratze fallen.
Ich war völlig am Ende. Und mir war schlecht. Das schnelle Laufen so kurz nach dem Essen war mir wohl nicht gut bekommen. Ein Gefühl des Ekels breitete sich in mir aus und ich musste mich hinlegen, da mir auch leicht schwindelig war. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem, der immer noch stoßweise kam, und mit den ruhiger werdenden Atemzügen ließen langsam auch der Schwindel und die Übelkeit nach. Vorsichtig setzte ich mich wieder auf und schleppte mich ins Badezimmer.
Ich sah furchtbar aus, ganz blass. Und meine blauen Augen wirkten leicht gräulich. Zum Glück hatte Marianne nicht genau hingesehen, als ich heimgekehrt war, sonst hätte ich ihr das Erlebte nicht verbergen könne n.
Ich machte schnell eine Katzenwäsche und packte mich dann ins Bett, in der Hoffnung, vor Erschöpfung schnell einzuschlafen. Was ich auch tat. Aber in der Nacht wachte ich von schrecklichen Alpträumen geplagt auf. Ich wurde verfolgt. Allerdings nicht nur von einem, sondern von ganz vielen unheimlich aussehenden, dunklen Typen, die meinen Namen riefen. Ich zitterte am ganzen Leib und es dauerte eine Ewigkeit, bis ich wieder einschlafen konnte.
Am nächsten Morgen kam ich nicht leicht aus den Federn. Es war bereits acht Uhr als ich aufwachte. Da ich erst um neun Vorlesung hatte, ließ ich mir Zeit mit dem Aufstehen. Ich rekapitulierte die Ereignisse der letzten Nacht, doch die Erinnerung an den Typen ließ ein eisiges Frösteln durch meinen Körper fahren. Er war so unheimlich gewesen.
Ächzend schälte ich mich aus meinem Nachtlager und schleppte mich ins Badezimmer. Ich spürte gleich, dass ich heute nicht in Hochform war. Ich verbrachte geschlagene zehn Minuten unter der Dusche, wo ich mir das heiße Wasser lange über den Kopf rieseln ließ, um das Frösteln zu vertreiben und die Ereignisse der letzten Nacht wegzuwaschen.
Als ich eine halbe Stunde später aus der Haustüre trat, fing mein Herz heftig an zu klopfen. Ich sah mich um, doch alles war wie jeden Morgen. Menschen liefen eilig an mir vorbei auf dem Weg zur Arbeit. Fahrradfahrer schlängelten sich durch den Verkehr. Die Welt sah aus wie immer, auch wenn sie mir irgendwie verändert vorkam. Zögerlich startete ich meinen Weg zur Uni, wobei ich mich die ganze Zeit nervös umsah.
Ich atmete erst erleichtert auf, als ich inmitten meiner Kommilitonen im Vorlesungssaal saß. Ich war mir noch nie so geborgen vorgekommen. Nach und nach entspannte ich mich und bis die Vorlesung vorbei war, hatte ich mich wieder im Griff.
Ich nahm mir vor, mich von diesem Erlebnis nicht unterkriegen zu lassen und verbuchte es unter der Kategorie „Großstadterlebnis“.
Dennoch zögerte ich zur Bibliothek zu gehen, wie ich es sonst in meiner Mittagspause immer tat. Irgendwie erschien mir die Uni-Cafeteria mit ihren vielen Menschen heute angenehmer und so setzte ich mich mit einem Kaffee bewaffnet mit einem Buch an einen der hinteren Tische der großen, gut besuchten Cafeteria und versank nach einer Weile inmitten des lärmenden aber irgendwie beruhigenden
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