Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
stattdessen allen zeigen, was in Dir steckt. Dieses Kleid ist wie für Dich gemacht. In freudiger Erwartung, David“
Atemlos las ich die Botschaft wieder und wieder. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Dafür, dass David und ich noch nie wirklich mehr als fünf Worte gewechselt hatten, kannte er mein Innenleben aber verdammt gut. Seine Worte hinterließen ein Gefühl, als hätte er sie direkt aus meiner Seele gepflückt. War ich so durchsichtig in meinen Gefühlen?
Ich musste mich setzen. Ich fühlte mich seltsam. Seltsam verletzlich. Durchschaubar. W ar David tatsächlich so einfühlsam wie Marianne immer behauptete? Hatte er ein besonders Gespür dafür, was in anderen Menschen vorging
Nachdenklich musterte ich das Kleid, das ich immer noch in den Händen hielt. Er hatte mich damals im Laden des Designers beobachtet. Er hatte gesehen, dass ich das Kleid bewunderte. Hat er es mir deswegen geschenkt? Weil er, wie Marianne stets betonte, so unbeschreiblich aufmerksam war und mir damit eine Freude machen wollte?
Doch wieso sollte David mir eine Freude machen? Ich mochte ihn ja nicht einmal. Und das wusste er. Er wusste es schon, bevor Marianne es ihm offenbart hatte, denn ich war ihm das letzte Mal nicht gerade freundlich begegnet. Was also bezweckte er mit dieser Aktion? Wollte er etwa doch über mich Mariannes Aufmerksamkeit beziehungsweise Zuneigung gewinnen? Aber das hatte er doch gar nicht nötig, sie fraß ihm doch ohnehin schon aus der Hand.
Ich wurde nicht schlau aus David und seinem Verhalten und eigentlich gab mir das Anlass genug, dieses Kleid und die Einladung zu dieser Soirée abzulehnen. Das ganze hatte einen unguten Nachgeschmack. Aber Marianne schien, aus mir ebensolch unverständlichen Gründen, darauf zu bestehen, dass ich mitging.
Ich seufzte frustriert laut auf. Ich hatte mir vorgenommen, David zu meiden und nun musste ich ihm morgen in dem Kleid, das er für mich ausgesucht und gekauft hatte, erscheinen und gute Miene zum undurchsichtigen Spiel machen. Marianne hatte sich deutlich genug ausgedrückt, was sie von mir morgen erwartete. Allerdings war sie sichtlich geschockt gewesen, als sie das Kleid entdeckt hatte. Das hatte sie wohl nicht erwartet. Ich wusste nicht, mit was sie gerechnet hatte, aber sicher nicht damit.
Ich seufzte erneut laut auf. Eins war sicher, das würde ein langer und anstrengender Abend werden morgen, davon war ich jetzt schon überzeugt.
Die Stunden davor wurden sogar noch länger. Ich wusste nichts mit mir anzufangen. Ich konnte mich weder dazu aufraffen, in die Bibliothek zu gehen, noch hatte ich Lust, mit meinem Fahrrad durch die Gegend zu fahren. Ich wollte nicht mal aufstehen, denn sobald ich die Augen am Morgen geöffnet hatte, war mein Blick auf das blaue Kleid gefallen, das ich an meinen Kleiderständer gehängt hatte.
Ich hatte am Abend versucht, es hinter meinen anderen Klamotten zu verbergen, aber es leuchtete aus meiner eher grau und dunkel gehaltenen Kleidung hervor wie ein schillernder Schmetterling.
Ich war versucht gewesen, es wieder in den Karton zurückzustopfen, hatte dann aber doch Skrupel gehabt, dass es total verknittern würde. Ich hatte mein Gesicht der Wand zugedreht und versucht wieder einzuschlafen, aber es gelang mir nicht.
Also widmete ich mich meiner Lektüre. Und danach meinem Unterrichtsstoff. Das lenkte mich soweit ab, dass ich erschrak, als es an meine Zimmertür klopfte.
„Josephine? Ich bin im Bad fertig, du kannst jetzt reingehen.“
Ich sah auf die Uhr. Es war siebzehn Uhr. Die Veranstaltung ging um sieben los und Marianne und ich würden mit dem Taxi hinfahren. Sie hatte schon eines bestellt. Auf achtzehn Uhr dreißig. Es schien mir noch ein bisschen früh, um sich schon fertig zu machen. Ich hätte die Vorbereitungen gerne bis auf den letzten Drücker hinausgeschoben, aber ich wusste, ich durfte Marianne heute nicht verärgern.
Sie war heute Mittag, als wir uns kurz in der Küche getroffen hatten, sehr kurz angebunden gewesen und hatte mir mit strenger, kalter Stimme mitgeteilt, wann ich fertig zu sein hatte. Sie war immer noch beleidigt wegen dem Kleid. Anscheinend ging ihre Schwärmerei für Davids guten Geschmack dann doch nicht soweit, dass sie akzeptieren konnte, dass ich ein solch exklusives Kleid tragen würde.
Ich hatte gehört, wie sie morgens die Wohnung verlassen hatte, und ich nahm stark an, dass sie zum Shoppen gegangen war. Schließlich wollte sie an dem Abend David beeindrucken und sich
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