Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
ließ mir einen großen Kaffee raus. Ich setzte mich in eine Ecke ganz nach hinten und beobachtete das Geschehen um mich herum. Für die hier Anwesenden war es ein ganz normaler Studientag. Sie trafen sich mit Kommilitonen auf einen Kaffee, tauschten den neusten Klatsch aus und zogen wieder von dannen in ihre Vorlesungen. Alles schien so normal. Und ich wünschte mir sehnlichst, ich könnte an ihrer Normalität te ilhaben.
Ich musste an die Worte des Kommilitonen von gestern denken, von wegen alle hier würde mich „Zombi“ nennen. Ich zuckte bei diesem Gedanken vor mir selbst zurück, weil ich Angst hatte, die Wut darüber würde wieder in mir hoch brodeln, doch in meinem Bauch blieb alles ruhig. Ich empfand nur einen leichten Schmerz darüber, dass meine Mitstudenten derart hinter meinem Rücken über mich redeten. Aber ich konnte es ihnen eigentlich nicht verübeln.
Ich war ja ein Zombi. Ich hatte mich in letzter Zeit wirklich seltsam verhalten und das Erlebnis gestern mit meinem Kommilitonen war wohl der lebhafte Beweis, dass sie mit ihrer Vermutung nicht ganz im Unrecht waren. Mich schüttelte es bei dem Gedanken daran, wie diese seltsame, gierige Wut in meinem Bauch sich meiner bemächtigt hatte und wie ich diesen Kerl angestarrt und festgehalten hatte. Und er mich wie hypnotisiert hatte gewähren lassen. Das war alles so surreal im Nachhinein betrachtet, dass ich mir schwer tat zu glauben, es hatte tatsächlich stattgefunden. Und doch wusste ich, dass etwas gewaltig nicht in Ordnung mit mir war. Ich fühlte mich wie zerrissen. Wie zwischen zwei konkurrierenden Polen hin und her gerissen. In meinem Bauch zerrte ein hungriges, aggressives Feuer nach Konfrontation mit anderen Menschen, während in meinem Kopf eine beunruhigende innere Stimme mich zur Ruhe rief und mir seltsame Warnsignale zukommen ließ, die mich dazu aufriefen, von allen Menschen Abstand zu halten. Ich wusste nicht, welchem Impuls ich folgen sollte und hatte das Gefühl, die Herrschaft über mich selbst entglitt mir. Ich kannte mich selbst kaum wieder.
Ich blieb eine Weile in der Cafeteria sitzen. Einfach um die scheinbare Normalität zu genießen und mir einzubilden, ich wäre wie die anderen.
Irgendwann wagte ich mich in die Vorlesung und der Tag verlief unspektakulär. Doch i ch horchte vermehrt in mich hinein und spürte dann auch ganz genau, als es dunkel wurde. Es war nicht die gleiche nagende Unruhe wie die Tage zuvor, aber es war eine Art Erwachen in mir, irgendwo in meinem Inneren. Ein kribbelndes Gefühl, das mich darauf aufmerksam machte, dass der Abend dämmerte.
Da ich nicht weiter über das seltsame Gefühl nachdenken wollte, packte ich einfach schnell mein Zeug zusammen und stürmte zu meinem Fahrrad. Auch wenn ich keine Neigung verspürte, irgendwem zu nahe zu treten, so wollte ich mich doch lieber vor anderen in Sicherheit bringen.
Ich nahm einen Umweg nach Hause. Weit entfernt von der Straße, in der der dunkelhaarige Typ lauerte, und trat ordentlich in die Pedale. Ich kam unbehelligt bei Mariannes Wohnung an und schloss mich dort sofort in mein Zimmer ein, auch wenn es gerade mal kurz nach sechs Uhr war.
Ich schnappte mir eines meiner Lieblingsbücher und ließ mich ganz in die Geschichte fallen. Nach einer Weile spürte ich unvermittelt diesen altbekannten leichten Druck in meinem Kopf, doch ehe ich ihn ernsthaft wahrnehmen konnte, war er auch schon wieder weg. Von selbst.
Ich schüttelte irritiert den Kopf, doch da der Druck nicht wieder auftauchte, schob ich jeglichen Gedanken daran schnell wieder zur Seite und vertiefte mich erneut in mein Buch. Ich ging früh zu Bett und zu meiner Verwunderung konnte ich die ganze Nacht über gut schlafen, denn am nächsten Morgen erwachte ich fit und erholt, kaum dass der Tag angebrochen war.
Ich warf mir, ohne lange zu überlegen, meine Joggingsachen über und ging eine Stunde laufen. Inzwischen hatte sich meine Kondition erheblich verbessert, woran ich durchaus Gefallen finden konnte. Es machte mir sogar langsam Spaß, durch das frühmorgendliche Paris zu joggen.
Ich fühlte mich gut, als ich später an die Uni radelte und war davon überzeugt, alles wieder im Griff zu haben, doch kaum näherte sich der Mittag, als sich urplötzlich wieder dieses seltsame Druckgefühl in meinem Kopf einstellte. Diesmal blieb es länger als am gestrigen Abend und unmittelbar darauf stellte sich da s inzwischen schon fast vertraute Gefühl in mir ein, beobachtet zu werden, auch wenn mir
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