Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
plötzlich klar wurde, dass ich dieses Gefühl schon gute zwei Wochen nicht mehr gespürt hatte.
Erschrocken blickte ich mich um. Ich saß in einer gut besuchten Vorlesung. Da konnte mich beinahe jeder beobachten. Zumal ich wieder in der ersten Reihe saß, was mir ein unauffälliges Umblicken nahezu unmöglich machte. Ich versuchte mich zu entspannen und redete mir ein, dass mir in einem überfüllten Hörsaal wohl keiner gefährlich zu Leibe rücken würde, doch meine Unruhe wuchs mit jeder Minute.
Als der Professor die Vorlesung für beendet erklärte, sprang ich auf wie eine Sprungfeder und raste aus dem Vorlesungssaal. Ich hörte noch das verwunderte Getuschel meiner Kommilitonen hinter mir, doch ich hastete schnell weiter durch die Gänge. Doch das Gefühl wollte nicht nachlassen, egal wie schnell ich lief und da ich nicht in die einsame Bibliothek gehen wollte, visierte ich schließlich die Cafeteria an. Die war um diese Zeit immer gut gefüllt und würde mir bestimmt die Möglichkeit geben, im Getümmel abzutauchen, sollte der unheimliche, dunkelhaarige Typ tatsächlich plötzlich auftauchen.
Doch je näher ich der Cafeteria kam, desto intensiver wurde das Gefühl in meinem Inneren. Es war, als hätte ich plötzlich einen Peilsender in meinem Kopf, der mir anzeigte, dass derjenige, der mich „beobachtete“, ganz in der Nähe sein musste. Irritiert über diese neue Ausprägung meines sowieso schon völlig verwirrenden Instinkts blieb ich an der Gebäudeecke, kurz bevor es in die weitläufige Cafeteria hineinging, stehen. Meine innere Stimme warnte mich eindeutig davor, weiter zu gehen.
Vorsichtig spähte ich um die Ecke und ließ meinen Blick langsam über die Menge der gut besuchten Cafeteria schweifen und zuckte jäh zurück, als ich eine mir nur allzu bekannte Gestalt am anderen Ende des Raumes entdeckte.
Er stand lässig im hinteren Teil der Cafeteria neben einer Gruppe junger Studenten, die sich angeregt unterhielten, und wirkte, als würde er dazu gehören, so dass er keine Aufmerksamkeit erregte, doch sein Blick glitt aufmerksam über die Menge, als suche er jemanden.
„Mich!“, schoss es mir durch den Kopf.
Ich trat erschrocken schnell wieder hinter die schützende Mauer und lehnte mich Halt suchend dagegen. Mein Herz fing wie wild an zu pochen und meine Gedanken überschlugen sich.
Da draußen stand David und suchte mich.
Mich! Daran bestand kein Zweifel. Ich spürte es. Ich spürte ihn!
Was allerdings mehr als verwirrend war. Irritiert schüttelte ich den Kopf, als könnte ich so das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden, abschütteln, doch es blieb. Blieb und warnte mich davor, weiterzugehen. Zu David zu gehen. Doch warum? Warum er? Wie kam es, dass ich ihn spüren konnte? Was hatte das zu bedeuten und was machte David hier? Warum suchte er mich?
Ich spürte Panik in mir hochkommen und gleichzeitig wollten mir die Beine wegsacken. Langsam wurde mir das echt alles zu viel. Die Versuchung, mich einfach hier auf den Boden zu legen und zu warten, bis David mich fand, war groß, doch mein Kampfgeist war nicht bereit dazu. Er riet mir zur Flucht. Und obwohl ich nicht begriff, was das ganze zu bedeuten hatte und weshalb ich eigentlich flüchten sollte, tat ich genau das.
Ich nahm mal wieder meine Beine in die Hand und rannte den schnellsten Weg zur Bibliothek, wo mein F ahrrad auf mich wartete.
Ich spürte, wie David mir folgte. Ich konnte nicht erklären wie, aber ich spürte, dass er mir auf den Fersen war. Panisch schloss ich das Schloss meines Fahrrades auf, schwang mich auf den Sattel und trat volle Pulle in die Pedale. Ohne mich einmal umzusehen, flitzte ich um die Straßenecke. Hinein in das Gewühl der Straßen, die zum Glück um diese Zeit eine Menge Autos und Menschen bereithielten, die mir Deckung boten. Ich radelte ohne mich in irgendeine Richtung umzusehen, getrieben durch das Schwächerwerden des Beobachtetwerden-Gefühls in meinem Kopf. Erst als es mehrere Minuten lang völlig erloschen war, machte ich Halt.
Erschöpft sah ich mich um und entdeckte, dass ich in einem Stadtteil gelandet war, den ich nicht kannte. Es war ein ruhiges Wohngebiet mit großen, herrschaftlichen Häusern. Ich stieg wieder auf mein Rad und fuhr in gemächlichem Tempo weiter, bis ich zu einem kleinen Park kam. Dort hielt ich an und setzte mich auf eine Parkbank. Ich musste erst mal wieder Atem schöpfen.
Einige Minuten lang konzentrierte ich mich nur auf meine Atmung, versuchte zur Ruhe zu kommen
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