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Envy-[Neid]

Envy-[Neid]

Titel: Envy-[Neid] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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Hut wieder auf und sah sich verstohlen um, ob auch ja niemand seine nervöse Reaktion gesehen hatte. Die hereinbrechende Dunkelheit und das unfreundliche Wetter ließen diesen Ort unheimlich wirken. Er verwünschte sein eigenes feiges Verhalten und setzte seine Füße mit Gewalt in Bewegung.
    An Pfützen vorbei ging er den Weg aus zerstoßenen Muschelschalen hinauf, den links und rechts je vier Steineichen säumten, von deren Ästen büschelweise Louisiana-Moos herunterhing. Die Wurzeln der uralten Bäume schlängelten sich über den Boden. Manche waren oberschenkeldick.
    Alles in allem handelte es sich um eine eindrucksvolle Vorderfront. Majestätisch, könnte man sagen. Von der Rückseite des Hauses überblickte man den Atlantik, das wusste Harris.
    Anfänglich war das Haus nicht so grandios gewesen. Die vier ursprünglichen Räume hatte vor über zweihundert Jahren jener Pflanzer gebaut, der die Insel einem Siedler abgekauft hatte. Dieser hatte es vorgezogen, hochbetagt in England zu sterben, statt in der neu gegründeten amerikanischen Nation dem Gelbfieber zu erliegen. Mit dem Erfolg der Plantage – zuerst Indigo, dann Baumwolle – war auch das Haus gewachsen.
    Mehrere Pflanzergenerationen später hatte man die ursprünglichen vier Räume in Sklavenquartiere umgewandelt und mit dem Bau des großen Hauses begonnen. Ein Prachtbau war es damals gewesen, zumindest für St. Anne. Baumaterial und das gesamte Mobiliar waren per Schiff angelandet und dann auf Maultierschlitten durch dichte Wälder und fruchtbare Felder zur Baustelle geschleppt worden. Die Fertigstellung der stabilen Konstruktion hatte Jahre gedauert, dafür hatte sie aber auch der Besatzung der Nordstaatenarmee sowie dem Ansturm mehrerer Dutzend Hurrikans standgehalten.
    Doch dann fiel sie einem Käfer zum Opfer.
    Ungefähr zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ruinierte der Baumwollkapselkäfer mehr als nur die Baumwollernte. Er richtete mehr Schaden an als Unwetter und Krieg, denn dieser Käfer vernichtete das lokale Wirtschaftssystem und zerstörte die bisherige Lebensart auf St. Anne.
    Ein Nachkomme des ursprünglichen Plantagenbesitzers hatte sich in weiser Erkenntnis seines drohenden Ruins am Kronleuchter des Esszimmers erhängt. Die restliche Familie verließ unter Hinterlassung von Schulden und unbezahlten Steuern bei Nacht und Nebel auf Nimmerwiedersehen die Insel.
    Jahrzehnte verstrichen. Der Wald eroberte Stück für Stück das Land um das Haus zurück, genau wie die früher schneeweißen Baumwollfelder. Gesindel besetzte die ehemaligen Aristokratenzimmer, die sogar den Besuch eines US-Präsidenten erlebt hatten. Wilde Halbstarke wagten sich als Einzige in das verfallene Herrenhaus und riskierten dabei die Begegnung mit Gelegenheitstrinkern, die einen Platz zum Ausschlafen ihres Rausches suchten.
    Bis vor knapp einem Jahr blieb es eine Ruine. Dann kaufte es ein Auswärtiger, kein Inselbewohner, und begann mit massiven Renovierungsarbeiten. Harris vermutete in ihm ein Nordlicht, das öfters Vom Winde verweht gesehen hatte und unbedingt auf südlichem Boden einen Herrensitz aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg haben wollte. Ein Yankee mit mehr Geld als Verstand.
    Trotzdem hatte der neue Besitzer auf der Insel einen guten Ruf. Er habe den Besitz merklich verbessert, hieß es, obwohl Harris die Ansicht vertrat, dass es noch immer eine Menge zu tun gab, bis der Glanz der besten Zeiten wieder da wäre. Der Deputy beneidete den neuen Besitzer weder um die Sisyphusarbeit, die ein solches Unterfangen erforderte, noch um die Kosten dafür. Auch auf das Pech, das mit diesem Ort Hand in Hand zu gehen schien, war er nicht neidisch.
    Man munkelte, der Geist des Erhängten spuke noch immer in dem alten Haus herum, und ohne ersichtlichen Grund schwinge der Kronleuchter im Esszimmer hin und her.
    Von Gespenstergeschichten hielt Harris nicht viel. Er hatte Menschen aus Fleisch und Blut viel scheußlichere Sachen begehen sehen, als sich der boshafteste Geist ausdenken konnte. Trotzdem hätte er nichts gegen ein wenig mehr Beleuchtung einzuwenden gehabt, als er die Treppe hinaufstieg, über die Veranda ging und sich dem vorderen Eingang näherte.
    Er betätigte den Messingklopfer, zuerst vorsichtig, dann fester. Sekunden verstrichen, schwerfällig wie der Regen, der vom Dachvorsprung tropfte. So spät war es noch gar nicht, aber vielleicht lag der Hausbewohner schon im Bett. Auf dem Land gingen die Leute meistens früher schlafen als die Stadtfräcke,

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