Envy-[Neid]
konnte.
»Auch Ihnen noch einen schönen Abend«, nuschelte er, während er sich umdrehte.
Seine Stiefel knirschten über den Muschelweg. Die Dämmerung hatte sich in tiefschwarze Dunkelheit verwandelt. Unter dem Baldachin der Steineichenäste war es sogar noch dunkler. Direkt Angst hatte er nicht. Der Mann hinter der Türe war einigermaßen höflich gewesen. Als feindseliges Verhalten hätte man das nicht bezeichnen können. Vielleicht ungastlich, aber nicht feindselig.
Trotzdem war Harris froh, seinen Auftrag endgültig erledigt zu haben. Falls er das noch einmal tun müsste, würde er sich vermutlich dieser Pflicht entziehen. Was ging es denn ihn an, ob irgendeine Dame aus New York mit ihrem nicht näher erklärten Geschäft Erfolg hatte oder nicht?
Beim Hinsetzen merkte er, dass es auf den Sitz des Golfcarts getropft hatte. Bis er am Landungssteg ankam, wo er das Boot des Sheriffbüros vertäut hatte, war seine Kniehose durchgeweicht.
Misstrauisch beäugte ihn der Mann, von dem er sich den Golfcart geborgt hatte – für Gesetzeshüter kostenlos –, als Harris den Schlüssel zurückbrachte. »Gefunden?«
»Jaja, danke für die Richtung«, erwiderte Harris.
»Bekommen Sie den Typen je zu Gesicht?«
»Ab und zu«, meinte der Mann gedehnt.
»Gehört zur komischen Sorte?«
»Merkt man eigentlich nicht.«
»Hat’s mit ihm schon mal Schwierigkeiten hier gegeben?«
»Nöö, der bleibt ziemlich für sich.«
»Können ihn die Insulaner leiden?«
»Brauchen Sie vor der Rückfahrt noch Diesel?«
Das war so gut wie eine direkte Aufforderung, zu gehen und das neugierige Fragen sein zu lassen. Harris hatte gehofft, eine klarere Vorstellung von dem Bewohner des Herrenhauses zu bekommen, der sich hinter Türen versteckte, wenn Besuch kam, aber offensichtlich sollte es anders sein. Für weitere Nachforschungen jenseits seiner Neugierde darüber, warum ein Mann lediglich seine Initialen benutzte, und was eine Frau aus New York von ihm wollte, hatte er keinerlei Veranlassung.
Er bedankte sich bei dem Insulaner für den Golfcart.
Der Mann spuckte Tabaksaft in den Schlamm. »Kein Problem.«
Kapitel 3
»Bitte, nur noch ein Foto. Mr. und Mrs. Reed?«
Maris und Noah lächelten für den Fotografen, der für Publishers Weekly über das Bankett berichtete. Während des Cocktails hatte man sie zusammen mit anderen Verlegern, der preisgekrönten Autorin und einem berühmten Showmaster abgelichtet. Die Autorin betrachtete sich als Schriftstellerin, nur weil ein Ghostwriter für sie einen Schlüsselroman über ihre Tage im Profitennis zusammengekritzelt hatte.
Die Reeds hatten ihr Dinner relativ friedlich verspeisen dürfen, doch nun war der feierliche Anlass vorbei, und man bat sie erneut, für verschiedene Schnappschüsse zu posieren. Doch dann schoss der Fotograf tatsächlich, wie versprochen, ein letztes Foto von ihnen beiden allein und flitzte anschließend davon, um sich den Fitness-Guru zu schnappen, dessen letztes Buch als Top-Bestseller auf der Sachbuchliste rangierte.
Während Maris und Noah durch die elegante Halle des Palace Hotels schritten, seufzte sie: »Endlich, ich kann’s kaum erwarten, in meinen Pyjama zu schlüpfen.«
»Noch einen Drink, dann sagen wir Gute Nacht.«
»Drink?«
»Im LeCirque.«
»Jetzt?«
»Habe ich dir doch gesagt.«
»Nein, hast du nicht.«
»Sicher habe ich das, Maris. Zwischen Hauptgang und Dessert habe ich dir zugeflüstert, dass Nadia uns zu einem gemeinsamen Drink mit einem der Preisträger eingeladen hat.«
»Ich wusste nicht, dass das heute Abend sein soll.«
Schon beim bloßen Gedanken daran stöhnte Maris auf. Sie hatte eine intensive Abneigung gegen Nadia Schuller, und das aus gutem Grund. Dauernd mischte sich die penetrante Buchkritikerin in alles ein und zwang Noah und ihr Verpflichtungen ohne jedes elegante Hintertürchen auf.
Nadia Schullers Kolumne »Plaudereien rund ums Buch« erschien gleichzeitig in mehreren überregionalen Tageszeitungen und hatte eine Menge Einfluss. In Maris’ Augen allerdings nur deshalb, weil sich Nadia mit Gewalt als einzige Buchkritikerin des Landes etabliert hatte, deren Name einer breiten Öffentlichkeit bekannt war. Maris hielt nicht viel von ihr, weder beruflich, noch persönlich.
Geschickt verstand sie es, den Anschein zu erwecken, als hätten beide Seiten einen Nutzen von derart arrangierten Begegnungen. Maris argwöhnte jedoch, dass Nadias Kuppeleien einzig und allein ihr selbst dienten. In Sachen Eigenwerbung war sie
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